Ärztekammer zwingt Ärzten regierungstreue Haltung auf

Ein Arzt/eine Ärztin, der/die den Corona-Maßnahmen der Regierung aus fachlicher Sicht kritisch gegenübersteht, bekam letzten Freitag Post von der Landesärztekammer seines/ihres Bundeslandes. Wir dürfen das Schreiben hier freundlicherweise anonymisiert wiedergegeben:

Sehr geehrte(r) Doktor …,

der Landesärztekammer … ist durch den Internetauftritt der Gruppierung „Ärzte für Aufklärung“ bekannt, dass Sie diese Gruppierung unterstützen.

Derzeit warnt die Gruppierung mit dem Flyer „Corona-Viren sind Erkältungsviren“ vor angeblich 80.000 Toten und 4 Mio. Impfgeschädigten in Deutschland durch eine „Corona-Zwangsimpfung“. Auf der Rückseite des Flyers, der u. a. auf Demonstrationen von Gegnern der Corona-Maßnahmen an die Bevölkerung verteilt wird, sind angebliche Merkmale einer „echten Pandemie“ denen einer „Fake-Pandemie“ gegenübergestellt. Die Gruppe „Ärzte für Aufklärung“ bezeichnet sich selbst als Organisation von ca. 700 Ärzten aus Deutschland. Sie kritisieren die Corona-Maßnahmen der Regierung als überzogen. Von den Verantwortlichen fordern sie eine transparente Aufarbeitung der Zahlen.

Nach Auffassung der Landesärztekammer … sorgen Flugblätter wie das vorgenannte für Angst und Verunsicherung in der Bevölkerung und tragen dazu bei, dass sich Menschen nicht an die Hygieneregeln halten und damit zu einer Ausbreitung der Infektion. Nach § 1 Abs. 1 der Berufsordnung der Landesärztekammer … dient der Arzt der Gesundheit des einzelnen Menschen und der Bevölkerung. Zudem sind Ärzte verpflichtet, ihren Beruf gewissenhaft auszuüben und dem Ihnen in der Berufsausübung entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen. Zudem sollte durch den Arzt eine politische Neutralität gewahrt werden. Das Befürworten derartiger ideologischer und irrealer Aussagen durch einen Arzt schadet der Glaubwürdigkeit des Berufsstandes und gefährdet die Gesundheit und das Wohl der Bevölkerung. Die Landesärztekammer … distanziert sich ausdrücklich von der Gruppierung „Ärzte für Aufklärung“ sowie den im oben genannten Flugblatt verbreiteten Äußerungen.

Zur Beurteilung der Angelegenheit werden Sie gebeten, zur Sache Stellung zu nehmen und der Kammer die Beweggründe aus Ihrer Sicht (wegen der gebotenen Dringlichkeit der Angelegenheit) innerhalb von 2 Wochen nach Erhalt dieses Schreibens darzustellen. Bitte beachten Sie, dass Sie gemäß (genannt wird eine landesrechtliche Vorschrift) auf Anfragen der Ärztekammer, welche diese zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben bei der Berufsaufsicht an Sie richtet, in angemessener Frist zu antworten haben. Eine Einschränkung dieser Pflicht ergibt sich nur dann, wenn Sie sich bei Äußerungen zur Sache der Gefahr eines straf- oder berufsrechtlichen Verfahrens aussetzen würden. Aber auch in diesem Fall sind Sie verpflichtet, der Landesärztekammer … mitzuteilen, dass Sie sich nicht zur Sache äußern wollen. Die Kammer entscheidet in diesem Fall nach Aktenlage.

Mit freundlichen Grüßen

Rechtsassessor

Ärztekammer droht kritischen Ärzten

Das Schreiben darf von seinem Empfänger als bedrohlich empfunden werden. Es klingt wie die Aufforderung an den Angeklagten, sein letztes Wort aufzusagen, bevor über ihn gerichtet wird. Den in dem Schreiben angesprochenen Flyer kennt der Empfänger nicht einmal, und in seiner Praxis ausgelegt hat er diesen Flyer dementsprechend auch nicht. Das Einzige, was er getan hat, bestand darin, irgendwann im Lauf des Jahres 2020 auf der Internetseite der „Ärzte für Aufklärung“ eine Unterstützungserklärung zu unterzeichnen, wie viele andere Ärzte auch. Deshalb richtete er/sie die Frage an uns, wie er/sie sich verhalten soll.

Die beste Lösung wenn Ärztekammer Ärzte unter Druck setzen

Wir haben geraten, dieses Schreiben in den Papierkorb zu werfen, weil eine Beantwortung nicht erforderlich sei.

Die erste Frage ist, ob die Landesärztekammer überhaupt berechtigt ist, ihn anzuschreiben und zu einer Stellungnahme aufzufordern. Dazu wäre sie berechtigt, wenn ein möglicher Verstoß gegen Berufspflichten vorliegt. Einen konkreten Verstoß gegen eine konkrete Pflicht führt das Schreiben aber gar nicht erst aus. Deshalb kann der Empfänger des Schreibens auch gar nicht in sinnvoller Weise antworten.

Kann eine Ärztkammer regierungstreues Handeln fordern?

Was in Wirklichkeit von ihm verlangt wird, besteht darin, der Unterstützungserklärung für die „Ärzte für Aufklärung“ abzuschwören. Dies klingt nach dem Prozess gegen Galileo Galilei 1632, in dem sich der Angeklagte nur dadurch vor dem Scheiterhaufen retten konnte, dass er dem kopernikanischen Weltbild abschwor. Um es genauer zu sagen: Es geht hier nicht um Berufsaufsicht, sondern um Gesinnungsaufsicht. Dies kommt aber in der gesetzlichen Aufzählung der Aufgaben der Landesärztekammer nicht vor, und in ihrer Satzung gleichfalls nicht.

Nirgends steht in einer Berufsordnung, dass sich ein Arzt politisch neutral verhalten muss. Noch interessanter ist jedoch die Frage, ob die „Ärzte für Aufklärung“ eine Ideologie entwickelt haben, wie die Landesärztekammer meint.

Hier hat sich der eifrige Sachbearbeiter völlig in Sphären verirrt, von denen er offenbar nichts versteht. Meint er den Ideologiebegriff von Karl Marx? Oder den von Ernst Bloch oder Georg Lukács? Oder den der Frankfurter Schule? Oder den des Kritischen Rationalismus?

Man wird mit der Annahme nicht falsch liegen, dass der Rechtsassessor vom einen und vom anderen noch etwas gehört hat.

Würde er den von ihm verwendeten Begriff Ideologie erklären müssen, wäre er hierzu nicht in der Lage. Hier gibt sich die Landesärztekammer unfreiwillig ein bisschen drollig. Rechtlich kann dies aber dahinstehen, wie der Rechtsassessor wissen müsste: Nach Art. 140 des Grundgesetzes gelten die Artikel der Weimarer Verfassung weiter, nach denen es jedermann freisteht, sich einer Weltanschauungsgemeinschaft anzuschließen. Dies gilt auch für Ärzte.

Darf sich Ärztekammer von Ärzten ausdrücklich distanzieren?

Die andere Frage ist aber, ob sich die Landesärztekammer ihrerseits von einer bestimmten Gruppe Ärzte ausdrücklich distanzieren darf. Die Landesärztekammer ist eine öffentlich-rechtliche Körperschaft, welche nach Satzung und Gesetz die Aufgaben hat, die Interessen der Ärzteschaft zu vertreten und die Einhaltung der berufsrechtlichen Regeln der Ärzteschaft zu überwachen.

Wo diese Aufgaben enden, steht ihr selbst kein Urteil mehr zu. Die Vorstandsmitglieder dürfen persönliche Standpunkte einnehmen und öffentlich vertreten, wie sie wollen. Dies gilt auch für den dort angestellten Rechtsassessor. Für sie alle gilt Artikel 5 des Grundgesetzes.

Der Landesärztekammer als juristischer Person steht dies jedoch nicht zu, erst recht nicht, soweit sie damit den Anschein erweckt, dass alle Mitglieder sich durch einen mehrheitlich gefassten Beschluss auf einen offiziellen Standpunkt geeinigt hätten. Um diese Meinung sind die Kammermitglieder zumindest dieser Landesärztekammer niemals gebeten worden.

Ärztekammer entscheidet nach Aktenlage?

Geradezu grotesk ist der letzte Satz des Schreibens, dass die Kammer nach Aktenlage entscheiden würde. Offen bleibt, über was überhaupt sie meint entscheiden zu können, und welche Akte es dazu geben soll.

Juristisch gesehen darf man das Schreiben der Landesärztekammer als verunglückt bezeichnen: Da es nichts rechtlich Wirksames bewirken kann, ist es tatsächlich ein Fall für den Papierkorb. Hinnehmbar ist es dennoch nicht: Es ist darauf angelegt, die Mitglieder der Landesärztekammer durch die versteckte Drohung mit berufsrechtlichen Konsequenzen einzuschüchtern und sie auf den politischen Kurs der Bundesregierung zu zwingen. Dazu ist eine Landesärztekammer als Körperschaft öffentlichen Rechts jedoch nicht berufen, schon gar nicht vor dem Hintergrund der Grundsätze der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Eines der wichtigsten Prinzipien der Bundesrepublik Deutschland ist nämlich, dass der Wille der Regierung nie mit dem Instrument der Einschüchterung durchgesetzt werden darf. Dass Justiziare der Landesärztekammern offenbar das Internet auf die Haltung ihrer Mitglieder durchsuchen, ist ebenso neu wie bedenklich. Es werden jedoch eher die Vorstandsmitglieder auf diese Idee gekommen sein, um sich mit vorauseilendem politischem Gehorsam der nächsthöheren Ebene zu empfehlen.

Die zweitbeste Lösung wenn Ärztekammern Ärzte unter Druck setzen

Ein amtlich aussehendes Schreiben mit Grandezza in den Papierkorb zu befördern, liegt nicht jedem. Die zweitbeste Lösung lautete hier, ein Antwortschreiben verfassen zu lassen. Das klingt so:

Sehr geehrter Herr Assessor,

mit beiliegender Vollmacht zeigen wir Auftrag der/s Dr. … an. Gegenstand unseres Auftrags ist die Beantwortung Ihres Schreibens vom … und die Vertretung … in dem hierdurch eingeleiteten berufsrechtlichen Verfahren.

1. Richtig ist, dass … im Internet eine Unterstützungserklärung für „Ärzte für Aufklärung“ abgegeben hatte. Den von Ihnen angesprochenen Flyer „Corona-Viren sind Erkältungsviren“ kennt … nicht. Dementsprechend verteilt er/sie ihn auch weder in seiner/ihrer Praxis noch bei sonstigen Gelegenheiten.

2. Ein berufsrechtswidriges Verhalten … kann aus Ihren Ausführungen nicht nachvollzogen werden:

a) Entgegen Ihrer Auffassung begründet § 1 Abs. 1 der Berufsordnung keine Verhaltensregel für die Ärzteschaft, sondern begründet in Satz 1 die in Satz 2 ausgedrückte Schlussfolgerung, warum der Beruf des Arztes kein Gewerbe, sondern ein freier Beruf ist. Angestrebt wird damit eine Freizeichnung von der Verpflichtung, Gewerbesteuer zu entrichten, und die Entäußerung der Vorstellung, dass die Mitglieder der Landesärztekammer … ordnungsrechtlich nicht dem Gewerberecht unterliegen.

b) Richtig ist, dass § 2 der Berufsordnung in Abs. 1 Satz 1 die Berufsausübung unter den Vorbehalt der Gebote der ärztlichen Ethik und der Menschlichkeit stellt und Abs. 2 Satz 1 eine gewissenhafte und vertrauenswürdige Berufsausübung vorschreibt. Dies wird in § 2 Abs. 3 konkretisiert, wonach zur gewissenhaften Ausübung des Berufs die Erhaltung der notwendigen fachlichen Qualifikation und die Beachtung des anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse erforderlich sind.

c) Eine Verpflichtung zu politischer oder weltanschauliche Neutralität enthält die Berufsordnung entgegen Ihrer Auffassung an keiner Stelle. „Ärzte für Aufklärung“ sind zudem keine politische Partei und auch keine Weltanschauungsgemeinschaft.

d) Die Aussage „Corona-Viren sind Erkältungsviren“ und andere von Ihnen zitierte Aussagen muss sich unser Mandant nicht als eigene Verlautbarungen zurechnen lassen. Eine Warnung vor Impfschäden entspräche jedoch gewissenhafter Berufsausübung. Gerade weil es keine gesetzliche Impfpflicht gibt, ist es ethisch nicht nur vertretbar, sondern nach § 2 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 der Berufsordnung geradezu geboten, den Menschen im Allgemeinen und Patienten im Besonderen denkbare Vorteile und denkbare Nachteile einer Impfung aufzuzeigen, um ihnen damit eine sachgerechte, selbstbestimmte Entscheidung zu ermöglichen.

e) Die Entscheidung des Einzelnen, sich impfen zu lassen oder nicht, steht mit der Einhaltung der Hygieneregeln denklogisch in keinerlei Zusammenhang.

3. Umgekehrt ist bedenklich, was die Landesärztekammer zu dem Schreiben vom … veranlasst.

a) Warum die Landesärztekammer … meint, sich ausdrücklich von „Ärzte für Aufklärung“ distanzieren zu dürfen, ist nicht klar. Es gehört nicht zu den in § … aufgezählten Aufgaben, bestimmte Teile der Ärzteschaft in ihren fachlichen Ansichten zu unterstützen oder fachlichen Ansichten von Teilen der Ärzteschaft entgegenzutreten. Dafür bietet auch § 5 Abs. 3 keine Rechtsgrundlage. Deshalb ist bei wissenschaftlichen Kontroversen innerhalb der Kammermitglieder keine Befugnis der Landesärztekammer eröffnet, sich für die eine oder andere Seite einzusetzen. Dies verbietet sich auch nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Die mitgeteilte Positionierung der Landesärztekammer ist daher rechtswidrig. Sie erweckt auch den Anschein, für alle oder den ganz überwiegenden Teil der Kammermitglieder zu sprechen, was jedoch ganz offenbar nicht der Fall ist.

b) Im letzten Absatz Ihres Schreibens stellen Sie in Aussicht, nach Aktenlage zu entscheiden. Dies setzt denklogisch voraus, dass es eine Fallakte gibt. Als rechtsanwaltlichen Vertretern … steht uns zu, die Akte einzusehen. Hierzu fordern wir zum nächstmöglichen Zeitpunkt auf. Kosten der Aktenübersendung zu erstatten, wird zugesichert.

c) Eine Anspruchsgrundlage für die Mitteilung subjektiver Gedanken … als Beweggründe gibt es nicht.

d) Umstände, die eine „Dringlichkeit der Angelegenheit geboten“ sein lassen, führen Sie an keiner Stelle aus. Aus sich heraus sind solche Umstände auch nicht nachvollziehbar.

4. Unter Hinweis auf § … in Verbindung mit § 2 Abs. 6 der Berufsordnung treffen Sie eine Anordnung gegen … im Einzelfall, er/sie hätte sich zu äußern. Dies ist ein Verwaltungsakt i. S. d. § 42 VwGO. Ärzte haben auf Anfragen zu antworten, die an sie zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben im Rahmen der Berufsaufsicht gerichtet werden. Ihr Schreiben führt jedoch keinen Verdacht auf einen berufsrechtlichen Verstoß … aus. Deshalb ist allein die Aufforderung zur Auskunft ein rechtswidriger Verwaltungsakt. Überhaupt fragt sich, was die Zielstellung Ihres Schreibens ist. Es kann nur bedeuten, dass sich … der geäußerten Unterstützung der Ärzte für Aufklärung enthalten oder diese widerrufen soll. Dies greift jedoch in die Grundrechte … aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 GG ein. Wir dürfen Sie im Ergebnis auffordern, den Verwaltungsakt zurückzunehmen und das berufsrechtliche Verfahren gegen … einzustellen

Mit freundlichen Grüßen

Rechtsanwalt

Was gerade geschieht – Ärztekammern drohen kritischen Ärzten

Etwa 700 Ärzte dürften in diesen Tagen Briefe von ihrer Landesärztekammer erhalten, die ähnlich klingen werden wie der Brief der Landesärztekammer … Wie damit umzugehen ist, steht oben.

Was falsch wäre

Nicht jeder dieser Briefe muss dieselben Gedanken enthalten wie der von der Landesärztekammer… Um mit solchen Schreiben ans vorgestellte Ziel zu kommen, sind intelligentere und weniger intelligente Versionen vorstellbar. Deshalb ist es nicht klug, das eben zitierte Antwortschreiben als Vorlage zu verwenden. Dieser Schuss kann nach hinten losgehen und in einer Blamage enden, bei der allerdings in rechtlicher Hinsicht nicht viel Schaden entstehen kann, höchstens in stilistischer.

Zum Punkt 3b des Antwortschreibens ist anzumerken, dass nur Rechtsanwälte, die sich durch eine schriftliche Vollmacht ausweisen können, jene Akte einsehen dürfen, nach deren Lage die Kammer angeblich zu entscheiden gedenkt. Ein auf den Einzelfall maßgeschneiderte Lösung ist daher unbedingt vorzuziehen.

Die in den gewechselten Schreiben zitierten Vorschriften sind oben bewusst durch … anonymisiert. Es geht uns dabei nicht um das Zurückhalten von Herrschaftswissen, sondern um die Wahrung des Mandatsgeheimnisses: Es handelt sich nämlich um landesrechtliche Vorschriften, und anhand des Bundeslandes könnten intelligente Leser womöglich darauf kommen, welche Landesärztekammer welchem Mitglied geschrieben hat. Dies müssen wir ganz sicher ausschließen.

Foto: stock.adobe.com

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