2G Regel an Hochschulen

Die Pressestelle des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH) teilte am 17. Dezember 2021 mit, dass dem Eilantrag eines Studenten gegen die 2G-Regel an Hochschulen stattgegeben worden sei. Im Folgenden geben wir die Pressemitteilung leicht gekürzt (…) in kursiver Schrift wieder. Die Zwischenüberschriften (in gerader Schrift) haben wir zum erleichterten Verständnis eingefügt. Es ist darauf hinzuweisen, dass es sich noch nicht um eine endgültige Entscheidung handelt, sondern nur um eine vorläufige Entscheidung auf einen Eilantrag hin.

2G Regel an Hochschulen – der Standpunkt des Antragstellers

Der Antragsteller wendet sich mit seinem Antrag … gegen § 2 Abs. 5 CoronaVO (für den Studienbetrieb) … und gegen § 9 Abs. 1 Nr. 2 und 3, § 10 Abs. 1 Nr. 2 sowie § 14 Abs. 1 der CoronaVO der Landesregierung … Er trägt vor, er sei nicht gegen COVID-19 geimpft und studiere Pharmazie an einer Hochschule in Baden-Württemberg. Zur erfolgreichen Durchführung seines Studiums sei er darauf angewiesen, Zugang zu den Räumlichkeiten und der Infrastruktur der Universität zu haben. Nach der Studienordnung müsse er an näher bezeichneten Präsenzveranstaltungen teilnehmen, um nicht seine Studienzeit zu überschreiten und ggf. exmatrikuliert zu werden. Die Kontaktbeschränkungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 und 3 CoronaVO nähmen ihm die Möglichkeit, sich mit einer beliebigen Anzahl an Kommilitonen zu treffen und Lerngruppen zu bilden. § 10 Abs. 1 Nr. 2 CoronaVO begründe unverhältnismäßige Grundrechtseingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG). Ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben sei nicht mehr gewährleistet. Fragwürdig sei auch der in § 14 Abs. 1 Nr. 4 CoronaVO normierte Ausschluss der Nicht-Immunisierten von sportlichen Aktivitäten.

Die beanstandete 2G-Vorschrift

2 Abs. 5 Corona Studienbetrieb bestimmt:

In der Alarmstufe II nach § 1 Absatz 2 Nummer 4 CoronaVO, frühestens ab 29. November 2021, ist abweichend von § 6 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 1 und § 7 Absatz 1 Satz 1 die Teilnahme an Präsenzveranstaltungen in geschlossenen Räumen und die Nutzung studentischer Lernplätze außerhalb der Bibliothek von dem Vorliegen eines Impf- oder Genesenennachweises im Sinne des § 4 Absatz 2 CoronaVO abhängig; § 5 Absatz 1 Satz 3 CoronaVO gilt entsprechend. Für

  1. Praxisveranstaltungen, die insbesondere spezielle Labor- oder Arbeitsräume an den Hochschulen erfordern, insbesondere Laborpraktika, praktische Ausbildungsanteile mit Patientenkontakt unter Einhaltung der Vorgaben der Klinika und Lehrkrankenhäuser, Präparierkurse, sowie Veranstaltungen mit überwiegend praktischen und künstlerischen Ausbildungsanteilen,
  1. Prüfungen, insbesondere Abschlussprüfungen, sowie Zugangs- und Zulassungsverfahren sowie
  1. den musikalischen Übebetrieb oder die künstlerische selbständige Arbeit am Werk an Musik- und Kunsthochschulen, Pädagogischen Hochschulen und Akademien nach dem Akademiengesetz

verbleibt es, soweit diese Veranstaltungen zwingend in Präsenz notwendig sind, bei der Regelung des § 6 Absatz 1 Sätze 1 bis 3; die entsprechenden Präsenzveranstaltungen sind im Hygienekonzept darzustellen. § 6 Absatz 3 findet in den Fällen der Sätze 1 und 2 keine Anwendung. Die Hochschulen haben die Studierbarkeit der Studiengänge sicherzustellen und daher in ihren Konzepten für den Präsenzstudienbetrieb zu berücksichtigen, dass gegebenenfalls Studierende wegen Satz 1 oder Absatz 3 an Präsenzveranstaltungen nicht teilnehmen können. Absatz 4 Nummern 1, 2 und 4 gelten auch in der Alarmstufe II.

Die Rechtsmeinung des Gerichts:

Der 1. Senat des VGH gab dem gegen § 2 Abs. 5 der CoronaVO Studienbetrieb des Wissenschaftsministeriums gerichteten Antrag statt und setzte die Norm vorläufig außer Vollzug. Im Übrigen lehnte er den Antrag ab. Zur Begründung führte er u.a. aus

  • 2 Abs. 5 CoronaVO Studienbetrieb verstoße voraussichtlich gegen das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot. Rechtsvorschriften müssten so gefasst sein, dass der Betroffene die Rechtslage konkret erkennen und sein Verhalten danach ausrichten könne. Aus der Vorschrift ergebe sich jedoch nicht, zu welchen Vorkehrungen Hochschulen im Hinblick auf nicht-immunisierte Studierende verpflichtet seien, um die Studierbarkeit des Studiengangs zu gewährleisten. Eine detailliertere Regelung dürfte insbesondere wegen der Auswirkungen auf die Ausbildungsfreiheit der Studierenden geboten sein. Denn Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleiste allen Deutschen das Recht, die Ausbildungsstätte frei zu wählen. Grundrechtlich geschützt seien nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die im Rahmen der Ausbildung notwendigen Tätigkeiten.

Fehlende Vorgaben zur Sicherstellung der Studiengänge…

In dieses Recht aus Art. 12 Abs. 1 GG greife § 2 Abs. 5 Satz 1 CoronaVO Studienbetrieb in schwerwiegender Weise ein, da nicht-immunisierte Studierende an Präsenzveranstaltungen ihres Studiengangs – mit Ausnahme der in § 2 Abs. 5 Satz 2 CoronaVO Studienbetrieb vorgesehenen Veranstaltungen – nicht teilnehmen könnten. Durch diese Beschränkung könne, soweit kein anderweitiger Zugang zu diesen Studienangeboten bereitgestellt werde, jedenfalls der erfolgreiche Abschluss eines Semesters konkret gefährdet werden, was zumindest zu einer Verlängerung des Studiums führen könne. Auch die Gefährdung des Studienerfolgs insgesamt sei durch die Beschränkung des Zugangs zu Lehrveranstaltungen möglich.

…verstoßen gegen das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot, aber…

Zu Recht habe der Antragsgegner daher im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in Art. 12 Abs. 1 GG den Ausnahmetatbestand des § 2 Abs. 5 Satz 2 CoronaVO normiert und vorgesehen, dass Hochschulen die Studierbarkeit der Studiengänge sicherzustellen hätten. Ausreichende Vorgaben, welche Maßnahmen die Hochschulen zu ergreifen hätten, um die Studierbarkeit der Studiengänge sicherzustellen, fehlten jedoch. Unklar bleibe, ob Hochschulen – um den schwerwiegenden Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG soweit als möglich abzumildern – verpflichtet sein sollten, Präsenzveranstaltungen regelmäßig als Hybridveranstaltungen durchzuführen oder aufzuzeichnen und diese Aufzeichnungen nicht-immunisierten Studierenden zügig zur Verfügung zu stellen oder ob es nach der Vorstellung des Verordnungsgebers ausreichen solle, dies nur für Pflichtveranstaltungen vorzusehen, oder ob es den Hochschulen etwa möglich sein solle, die Studierbarkeit der Studiengänge auf andere Weise nach ihrem freien Ermessen sicherzustellen.

…keine Erfolgsaussicht des Antragstellers gegen allgemeine 2G-Regeln.

Hingegen sei der gegen § 9 Abs. 1 Nr. 2 und 3, § 10 Abs. 1 Nr. 2 CoronaVO und § 14 Abs. 1 Nr. 4 CoronaVO gerichtete Antrag unbegründet. Die in § 9 Abs. 1 Nr. 3 CoronaVO normierten Kontaktbeschränkungen in der Alarmstufe II griffen in die allgemeine Handlungsfreiheit der Bürger erheblich ein. Die Verbote beträfen den privaten Lebensbereich und schränkten die sozialen Kontaktmöglichkeiten in einem beachtlichen Umfang ein. Die Kontaktbeschränkungen würden jedoch durch zahlreiche Ausnahmen in § 9 Abs. 2 bis 4 CoronaVO relativiert. Diese stellten sicher, dass auch nicht-immunisierte Personen in der Alarmstufe II in erheblichem Umfang private Beziehungen auch durch persönliche Treffen mit anderen Menschen pflegen könnten und ihnen durch die angefochtene Vorschrift keine soziale Isolation drohe. Auch die Beschränkungen des Zugangs zu Veranstaltungen und zu Kultur- und Freizeiteinrichtungen seien im Hinblick auf den Gesundheitsschutz beim derzeitigen Stand der Pandemie verhältnismäßig.

Fazit I: Kein Grund zur Euphorie – 2G Regel an sich nicht in Frage gestellt

Diese Entscheidung wurde über das Wochenende hinweg von Kritikern der Corona-Maßnahmen als großer Sieg und aufkeimender Hoffnungsschimmer gewertet. Das ist sie nicht: Die Kritik des Gerichts ist nachvollziehbar. Der Verordnungsgeber drückt sich vor konkreten Anweisungen an die Universitäten, was sie genau zu tun hätten, um auch Nicht-Geimpften die Teilnahme am Studium in einer Weise zu ermöglichen, dass das laufende Semester nicht verloren ist oder gar zur Exmatrikulation führt. An solchen genauen Vorgaben scheint es dem Senat zu fehlen. In der Tat beschränken sich die Vorgaben der angegriffenen Verordnung auf die schwammige Anweisung, dass Präsenzveranstaltungen … im Hygienekonzept darzustellen seien. Was damit gemeint ist, bleibt auch in den übrigen Sätzen der Regelung höchst unklar. Die Universitäten bleiben hilflos sich selbst überlassen. Dies ist eine rechtstechnische Fehlleistung des Ministeriums, dass die Verordnung verfasst hat. Wenn sich seine Beamten nur wenig Mühe geben, kann daraus in kürzester Zeit eine klare, eindeutige Regelung werden, die dann nicht mehr beanstandet wird.

Erhofft hatte sich der Student offenbar aber einen weitergehenden Erfolg, dass der Senat die 2G-Regel generell für rechtswidrig hält, soweit sie Ungeimpften Kontaktbeschränkungen auferlegt oder diesen Personenkreis von sportlichen Aktivitäten sowie der Teilnahme am kulturellen und gesellschaftlichen Leben abhält. In dieser Hinsicht lässt der Senat keinen Zweifel daran, dass er diese Grundrechtseingriffe aufgrund der Gefahren für die Gesundheit für verhältnismäßig und deshalb nicht für rechtswidrig hält.

Fazit II: Keine Verallgemeinerung über Baden-Württemberg hinaus

In der vergangenen Woche hatte sich eine Studentin mit einem ähnlichen Anliegen an uns gewandt. Sie studiert an einer bayerischen Universität. Die dortige Schutzverordnung ordnet ausdrücklich an, dass nicht geimpfte Studierende (von Genesenen abgesehen) weder im Hörsaal noch in der Bibliothek oder der Mensa etwas zu suchen haben. Nur zu den das Semester abschließenden Prüfungen dürfen sie kommen, vorausgesetzt, dass sie einen die PCR-Test vorweisen können, der nicht älter als 48 Stunden ist. Das ist eine eindeutige Regelung, die haargenau gefolgt werden kann. Deshalb wird sie auf den ersten Blick nicht am Maßstab des Bestimmtheitsgrundsatzes scheitern, wie es in Baden-Württemberg nun der Fall ist. Dennoch enthält auch diese Regelung Tücken, aber nur auf den zweiten Blick:

2G Regel an bayerischen Universitäten

Im Fall der Studentin wurde die entscheidende Prüfung an einen Montagmorgen angesetzt. Sie dauert einige Stunden. Die Testzentren, die den nötigen PCR-Test anbieten, haben in dieser Universitätsstadt nur bis Samstagabend geöffnet (der 24 Stunden geltende PoC-Antigentest scheidet wegen des Sonntags aus, an dem die Testzentren nach ihrer Schilderung geschlossen sind). Das sich daraus ergebende Problem ist nicht allein praktischer Art:

Lässt sich die Studentin samstagmorgens testen, beginnt der 48-Stunden-Zeitraum mit der Probeentnahme, sodass das Ende der 48 Stunden mitten in die Prüfungsdauer fällt. Unklar ist, ob es genügt, dass die Bescheinigung am Anfang der Prüfung noch gilt, oder ob die 48 Stunden auch die gesamte Anwesenheit bei der Prüfung abdecken müssen. Lässt sie sich samstags aber zu einer späteren Uhrzeit testen, riskiert sie, dass sie das erhoffte Testergebnis nicht mehr am gleichen Tag erhält und deshalb montagmorgens keine Bescheinigung vorlegen kann.

Die bayerische Schutzverordnung regelt lediglich die Testpflicht (und das nötige Testverfahren) als Voraussetzung für die Prüfungsteilnahme. Über die anderen beiden Fragen schweigt sich aus. Auch die liebevoll ausgestaltete bayerische Verordnung zur Regelung von Erleichterungen und Ausnahmen von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 liefert auch in der Fassung vom 10. Dezember 2021 keine zuverlässigen Antworten auf diese Fragen. Man könnte der Studentin empfehlen, dass sie sich einfach samstagmorgens zum ersten Mal und am Samstagnachmittag zum zweiten Mal testen lässt. Dies kostet dann insgesamt fast 190 Euro, und völlig sicher ist dieser Weg dann doch immer noch nicht.

Lesen Sie auch unseren Beitrag zur Klage gegen 2G-Regel im Einzelhandel.

Fotonachweis Titelbild: Adobe Stock

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