Strache, Ibiza und §§ 201 f. StGB
Es lässt sich nicht vermeiden, dass sich auch Rechtsanwälte zum Fall Strache ihren Teil denken. Immerhin hatten sie selbst schon ähnliche Fälle auf dem Tisch, wenngleich natürlich nicht von derselben politischen Brisanz. Besonders interessant findet unsereins, was die Bundesjustizministerin über den Fall Strache denkt.
DER SPIEGEL hat ein Video zugespielt bekommen, das in Auszügen bereits durch das Internet geistert. Herr Strache ist in einem Wohnraum zu sehen, wo er im Unterhemd auf einem Sofa lümmelt, Sekt trinkt und Zigaretten raucht. Eine Blondine mit verpixeltem Gesicht sitzt daneben, ein jüngerer Herr (leider mit unverpixeltem Gesicht) gegenüber.
Sympathisch wirkt keiner von den dreien so richtig. Das geht einen aber nichts an, denn die Atmosphäre ist erkennbar privat, und privat darf man auch auf dem Sofa liegen und sich mit unsympathischen Zeitgenossen unterhalten. Kein Politiker lässt sich Kippen rauchend im Unterhemd blicken, wenn er nur irgendwie mit Öffentlichkeit rechnet. Herr Strache war offenbar ahnungslos, dass in dieser Wohnung eine versteckte Kamera mitlief.
Bis zu dieser Stelle fällt einem spontan § 201a Absatz 1 Nummer 1 StGB ein:
Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer von einer anderen Person, die sich in einer Wohnung oder in einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet, unbefugt eine Bildaufnahme herstellt oder überträgt und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt.
Wer immer das Video aufgenommen hat, verstieß damit gegen ein gesetzliches Verbot, und DER SPIEGEL räumte am 17. Mai 2019 bereits freimütig ein, dass das Video heimlich hergestellt wurde https://www.spiegel.de/politik/ausland/heinz-christian-strache-geheim-videos-belasten-fpoe-chef-a-1268059.html.
Kein Richter wird zu einer anderen Bewertung kommen, dass die Herstellung des Videos eine Straftat gegen § 201a Absatz 1 Nummer 1 StGB war.
DER SPIEGEL hat dieses heimliche Video natürlich nicht selbst gedreht. Es stammt von einem Informanten, der Quellenschutz genießt. Er, DER SPIEGEL, hat dieses Video aber veröffentlicht. Gleich unter der Überschrift ist Herr Strache im ergrauten Unterhemd zu sehen. Liest man in § 201a StGB einige Zeilen weiter, stößt man auf die Nummer 3:
Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine durch eine Tat nach den Nummern 1 oder 2 hergestellte Bildaufnahme gebraucht oder einer dritten Person zugänglich macht und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt.
Das ist hier der Fall. Die Abbildung von Herrn Strache im Unterhemd und mit Kippe und Blondine wurden mittlerweile hunderttausenden dritten Personen zugänglich gemacht, die Herr Strache allesamt nicht in diese Wohnung eingeladen hatte. Weil es womöglich gegen § 201a Absatz 1 Nummer 3 StGB verstößt, hätte DER SPIEGEL dies lieber bleiben lassen.
Das Video ist kein Stummfilm. Herr Strache soll darauf diese und jene Versprechungen gemacht haben, wie großzügig er Wahlkampfunterstützung später mit Staatsaufträgen vergelten würde, wenn man ihm nur irgendwie an die Macht verhilft. Das ist nicht schön von Herrn Strache.
Nur: 2017, als das Video gedreht und die Wahlkampfhilfe verlangt wurde, war Herr Strache noch kein staatlicher Amtsträger im Sinne des § 305 Absatz 1 des österreichischen Strafgesetzbuches, sondern nur Spitzenkandidat der FPÖ, freilich mit der Ambition, ein staatlicher Amtsträger zu werden. Nach deutschem Strafrecht würde dies für eine Strafbarkeit wegen Bestechlichkeit bereits genügen (§ 332 Absatz 3 StGB), nach österreichischem Recht darf man sich als deutscher Jurist in dieser Hinsicht dagegen nicht so sicher sein. Diese rechtliche Spitzfindigkeit darf keineswegs als Verharmlosung aufgefasst werden.
In der Politik gelten auch moralische Maßstäbe jenseits des geschriebenen Gesetzes, etwa Redlichkeit, Aufrichtigkeit und Transparenz des Handelns. Diese Messlatte hatte Herr Strache offenbar mit der Gelenkigkeit eines Limbo-Tänzers unterschritten. Die Frage ist aber, ob man dieses von ihm gesprochene Wort veröffentlichen darf:
Nach § 201 Absatz 1 StGB ist es strafbar, ohne Einwilligung das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einem Tonträger aufzunehmen oder eine so hergestellte Aufnahme einem Dritten zugänglich zu machen. Der Informant des SPIEGEL ist hiernach zweifellos strafbar. Strafbar ist nach § 201 Absatz 2 Satz 1 auch, das abgehörte nichtöffentliche Wort eines anderen im Wortlaut oder seinem wesentlichen Inhalt nach öffentlich mitzuteilen.
Hier gilt nach § 201 Absatz 2 Satz 2 StGB jedoch eine Ausnahme, wenn nämlich die öffentliche Mitteilung zur Wahrnehmung überragender öffentlicher Interessen gemacht wird. Die Frage steht dahin, ob die deutsche Öffentlichkeit an der Aufdeckung irgendwelcher Ereignisse in Österreich durch ein deutsches Nachrichtenmagazin wirklich ein überragendes Interesse hat, oder ob sie sich nur über einen Skandal freuen soll.
Diesen entscheidenden Punkt kann man durchaus kontrovers diskutieren, dabei aber auch die Position einnehmen, dass es für die Bildung der öffentlichen Meinung in Deutschland oder gar für von deutschen Wählerinnen und Wählern zu treffende Wahlentscheidungen im Jahr 2019 nicht darauf ankommt, welche Missstände von erheblichem Gewicht sich in Österreich 2017 zugetragen haben. Unabhängig aber, welcher Sichtweise man sich in dieser Frage anschließt, wird man die Veröffentlichung des würzigen Bildmaterials für sich genommen als unzulässig ansehen müssen. Bild und Wort unterliegen unterschiedlichen Schutzgesetzen, das Wort § 201 StGB, das Bild § 201a StGB.
Die Bundesjustizministerin belehrte in Anne Wills Studio die Zuschauer, dass für investigativen Journalismus im Interesse der Demokratie andere Regeln gelten. Das ist objektiv nicht richtig. Dafür genügt ein Blick ins Gesetz. Der demokratische Rechtsstaat wird unglaubwürdig, wenn man seine Gesetze brechen darf, nur um womöglich stattgefundene Gesetzesbrüche in anderen Staaten aufzudecken. Die Beachtung des Gesetzes steht im Zweifel höher als die Freude an einem Skandal im Ausland.
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