Gewerbemiete reduzieren wegen Corona-Maßnahmen?

„Kann man aufgrund der Corona-Maßnahmen die Gewerbemiete reduzieren?“ Vor einigen Wochen hatten wir schon auf die neue Regelung des Artikels 240 § 7 Abs. 1 EGBGB hingewiesen, wonach die wegen der Corona-Pandemie verordneten Geschäftsschließungen eine schwerwiegende Veränderung der Geschäftsgrundlage der Gewerbemietverträge sei. Dies eröffnet dem Mieter von Gewerberäumen gewisse Möglichkeiten, den Mietzins entweder gar nicht oder nur teilweise zu bezahlen. Dieser § 7 Abs. 1 lautet:

(1) Sind vermietete Grundstücke oder vermietete Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar, so wird vermutet, dass sich insofern ein Umstand im Sinne des § 313 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat.

Der Wortlaut des Gesetzes ist als Vermutung formuliert. Zur Erklärung für Nichtjuristen: Der Mieter kann sich hier auf eine vom Gesetz aufgestellte Annahme berufen, die Geschäftsgrundlage des Mietvertrages sei gestört. Der Vermieter kann diese Annahme jedoch widerlegen. Ausgesprochen hieb- und stichfest ist der Wortlaut des neuen Gesetzes nicht ausgefallen. Umso ungeduldiger erwarteten Rechtsanwälte die ersten obergerichtlichen Entscheidungen, wie es nun gemeint sei. Diese gab es nun, und zwar gleich zwei am 24. Februar 2021.

Gewerbemiete reduzieren wegen Corona-Maßnahmen – zwei OLG-Urteile und zwei Meinungen

Von unterschiedlichen Vermietern wegen verschiedener Geschäftslokale verklagt war in beiden Fällen derselbe deutschlandweit bekannte Textil-Discounter. Wegen des Lockdown hatte er im April 2020 seine Geschäfte geschlossen halten müssen und deshalb keine Miete bezahlt.

OLG Dresden Urteil: Gewerbemiete muss bei Schließungen im Lockdown angepasst werden

Eher mieterfreundlich entschied das Oberlandesgericht Dresden (dortiges Aktenzeichen 5 U 1782/20): Die durch die Corona-Pandemie und die daraufhin ergangenen Verordnungen bedingte Schließung des Geschäfts sei eine von beiden Parteien nicht vorhersehbare Störung der Geschäftsgrundlage, durch die eine Anpassung des Vertrages nach § 313 Abs. 1 BGB erforderlich sei. Die damit verbundene wirtschaftliche Belastung hätten die Parteien des Mietvertrages billigerweise gleichermaßen zu tragen, weshalb eine Herabsetzung des Mietzinses auf die Hälfte angemessen sei.

OLG Karlsruhe gibt dem Vermieter Recht

Den ungefähr gleich gelagerten Sachverhalt beurteilte das Oberlandesgericht Karlsruhe in seinem Urteil vom selben Tag völlig anders (dortiges Aktenzeichen 7 U 109/20). Wie das Landgericht Karlsruhe, dessen Entscheidung (wir berichteten über sie bereits) in diesem Berufungsverfahren zu überprüfen war, ging auch das Oberlandesgericht davon aus, dass eine Anpassung an die veränderten Umstände nur dann eine Absenkung des Mietzinses gebiete, wenn die Weiterzahlung der vollständigen Miete die Existenz des Mieters zerstören oder sie zumindest in ernsthafte Gefahr bringen würde.

Der deutschlandweit bekannte Textil-Discounter dürfte schätzungsweise so groß sein, dass er kaum untergehen wird, wenn er eine oder zwei Mieten zahlt, obwohl er die Mieträume nicht öffnen kann. In die vom Oberlandesgericht Karlsruhe verlangte Existenzgefahr wird er deshalb kaum kommen.

Der BGH muss nun Entscheidung treffen

Der 24. Februar 2021 war für Rechtsanwälte kein schwarzer, aber dennoch ein schwieriger Tag, denn nach den beiden gegensätzlichen Entscheidungen wird nun voraussichtlich der Bundesgerichtshof die Frage beantworten müssen, welches der beiden Oberlandesgerichte mit dem richtigen Ansatz an die Sache herangegangen ist.

Bis dahin wird viel Zeit vergehen, und weder wir noch die anderen Berufskollegen wissen bis dahin verlässlich, wie wir unsere Mandanten zu beraten haben. Die Gewerbemieter bedrängen uns aber von allen Seiten und wollen Klarheit und Rechtssicherheit:

Gewerbemiete reduzieren – die aktuelle Situation

Auf meinem Tisch liegt gerade die Akte einer Mandantin, die seit Beginn des Lockdown ihr Geschäft geschlossen halten muss. In wenigen Tagen zieht der vierte Monat herauf, in dem dies so sein wird. Von ihrem speziellen Geschäftsmodell her kann sie unmöglich auf den Onlinehandel ausweichen. Deshalb hatte sie seitdem keinerlei Einnahmen mehr. Ihre Mitarbeiter beziehen tröstlicher Weise Kurzarbeitergeld. Einigen hatte sie vorsorglich bereits gekündigt.

Vom Ruin ist sie nach wie vor weit entfernt. Weil sie in den vergangenen Jahren keine Gewinnausschüttungen an ihre Gesellschafter vorgenommen hat, kann sie noch eine Weile durchhalten. Dennoch hält sie es für unbillig, wenn allein sie als Mieterin Nachteile hat, der Vermieter hingegen nicht.

Gewerbemiete reduzieren – ja oder nein?

Nach den Grundsätzen des Urteils des Oberlandesgerichts Dresden könnten wir anraten, die Hälfte der Miete zu mindern. Nach den vom Oberlandesgericht Karlsruhe aufgestellten Kriterien würden wir sie dagegen in einen Prozess treiben, den sie nicht gewinnen kann, sondern am Ende auch noch um die Prozesskosten ärmer wird.

Welche der beiden Ansichten sich so durchsetzen wird, kann nicht prognostiziert werden. Es ist hier auch nicht hilfreich, die beiden Urteile kritisch zu durchleuchten, welcher der beiden Senate nun eher richtig oder eher falsch liegt.

„Halbe Miete in Zeiten von Corona?“

Dennoch: Hervorragend gelungen (und auch für Nichtjuristen verständlich) ist der Beitrag des Kollegen Prof. Dr. Volker Römermann, Halbe Miete in Zeiten von Corona? vom 26. Februar 2021 auf www.lto.de. Er findet, dass das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe den neuen Art. 240 § 7 Abs. 1 EGBGB in einem entscheidenden Punkt übergeht:

Artikel 240 § 7 EGBGB stellt auf die Räume ab, nicht auf den Wohlstand von Mieter oder Vermieter. Hat nur der Mieter, der schon am Abgrund steht, Anspruch auf eine Wiederherstellung des vertraglichen Gleichgewichts? Sollte man dann auch argumentieren, dass nur die Vermieterin, welche der Insolvenz naht, noch Zahlungen verlangen kann? Die Norm erhebt die Verwendbarkeit der Räume zum entscheidenden Kriterium. Um Umsatzeinbrüche geht es dort nicht. Die Schließung der Läden stört nicht nur die wirtschaftliche oder soziale Lage des Mieters. Sie bringt vor allem das Gleichgewicht des Vertrages durcheinander. Der Mieter hat, wo er nicht verkaufen darf, nur noch Lagerräume. Dafür aber hätte er den Preis, der für Verkaufsflächen in guter Innenstadtlage vereinbart wurde, nicht akzeptiert, die Vermieterin hätte diesen vernünftigerweise nicht gefordert. Und zwar unabhängig davon, wie es dem Mieter finanziell sonst geht.

In Anbetracht des oben zitierten Gesetzeswortlauts ist dies richtig. Man kann seiner Ansicht nur beipflichten, denn im Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter kommt es ausschließlich darauf an, ob die Mietsache so zur Verfügung steht, wie es sich die Vertragsparteien beim Abschluss des Mietvertrages vorgestellt hatten, oder nicht.

Ist dies aus einem Grund, den keiner von beiden zu verantworten hat, nicht der Fall, ist die Vertragsanpassung an die für beide Seiten überraschend eingetretenen neuen Umstände geboten.

Unser Fazit

So einleuchtend dies klingt, muss man sich dennoch bewusst bleiben, dass der Bundesgerichtshof in dieser Rechtsfrage das letzte Wort hat. Bis dahin bleibt alles Wagnis.

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