Friseure öffnen: warum der Einzelhandel klagen sollte
Ab dem 1. März 2021 dürfen Friseure öffnen. Dies war eines der Ergebnisse des Bund-Länder-Gipfels, welche das Magazin FOCUS seinen Lesern am 12. Februar 2021 mitteilte, was wir hier auszugsweise wiedergeben:
„Friseure öffnen: Was als Zuckerl für die Bürger gedacht ist, wird in Klagewelle enden“ (FOCUS)
Als Zuckerl bezeichnet man in Bayern das, was die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten gestern an die Bevölkerung verteilten. Andernorts würde man die exklusive Öffnung der Friseursalons ab dem 1. März eher ein Bonbon nennen. Ungeachtet jeglicher Semantik sagte Bayerns Ministerpräsident und oberster Corona-Mahner, Markus Söder, es gehe beim Thema Friseure vor allem auch „um Würde“. Zwar mag das unter den Bürgern, denen die Haare bereits tief ins Gesicht hängen, gut ankommen, wenn sie ihre Tolle endlich wieder trimmen lassen können, rein rechtlich lassen sich Merkel und die Minister jedoch auf ein Vabanquespiel ein. „Vor dem Hintergrund der Bedeutung für die Körperhygiene“ sei die Öffnung erforderlich, heißt es im Beschluss vom vergangenen Mittwoch. Gerade ältere Menschen seien auf die Dienstleistung „angewiesen“.
Laut FOCUS steht nun eine Klagewelle bevor. Das rechtliche Problem lautet hier in salopper Formulierung:
Ab 01. März können Friseure öffnen – sind Friseure was Besseres?
Das Grundgesetz ist bewusst einfach formuliert, zumindest der Katalog der Grundrechte. Schließlich soll sich jedermann darauf berufen können. Artikel 3 Absatz 1 lautet deshalb kurz und bündig:
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
Mehr muss man nicht hineinschreiben. Was gemeint ist, ist klar. In der Rechtswissenschaft wird dieser Satz als allgemeiner Gleichheitsgrundsatz bezeichnet. Er verpflichtet sowohl den Gesetzgeber als auch die Gesetze vollziehenden Behörden, vom Tatbestand her gleiche oder vergleichbare Fälle von den Rechtsfolgen her gleich zu behandeln.
Auf den Fall bezogen bedeutet dies: Dürfen Friseure bei den verhängten Corona-Maßnahmen milder behandelt werden als Fußpfleger, Kosmetik- oder Nagelstudios? Weitergedacht: Dürfen Friseure besser behandelt werden als Einzelhändler?
Die Kernfrage der verfassungsrechtlichen Prüfung lautet: Sind Friseure mit diesen Berufsgruppen gleich oder vergleichbar? Das sind sie. Sie alle betreiben Ladengeschäfte, in denen ein (aus Sicht des Geschäftsinhabers: hoffentlich reger) Publikumsverkehr stattfindet. Allen diesen Berufsgruppen geht es darum, dass die Kunden Geld in diesem Laden zurücklassen. Davon leben sie nämlich. Dabei macht es zunächst noch keinen Unterschied, ob die Kunden ihr Geld für die Dienstleistung eines Friseurs in die Ladenkasse legen oder für den Erwerb eines neuen Oberteils.
Krampfhafte Suche nach Alleinstellungsmerkmalen dafür, dass Friseure öffnen können
In der zitierten Argumentation des Herrn Dr. jur. Markus Söder geht es um Körperhygiene, Würde und ältere Menschen. Diese Argumentation stammt eher von einer PR-Agentur als von einem Juristen, der Dr. jur. Söder mit Einschränkungen ist: Er hat mit Unterstützung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung immerhin 1991 das Erste juristische Staatsexamen bestanden. Das reicht, um promovieren zu dürfen, was er 1998 auch schaffte. Nach Wikipedia lautete das Thema
Von altdeutschen Rechtstraditionen zu einem modernen Gemeindeedikt. Die Entwicklung der Kommunalgesetzgebung im rechtsrheinischen Bayern zwischen 1802 und 1818.
Ein Volljurist mit Zweitem Staatsexamen ist Herr Doktor Söder aber nicht. Statt den dafür erforderlichen Vorbereitungsdienst zu durchlaufen, verdingte er sich ab 1992 lieber beim Bayerischen Rundfunk, um dann professionell in die Politik einzusteigen. Irgendwo ist bei ihm aber doch hängengeblieben, dass für unterschiedliche Behandlungen sachliche Gesichtspunkte erforderlich sind. Danach sucht er nun.
Sind Friseure für Körperhygiene wichtig?
Chemische Reinigungen säubern Kleidung, die sich nicht für die Waschmaschine eignet. Saubere Kleidung trägt in der Tat zur Körperhygiene bei. Deshalb waren und sind chemische Reinigungen während des Lockdown auch geöffnet geblieben. Friseure verpassen aber Haarschnitte. Scheren und Barbiermesser tragen zu einem buchstäblich schnittigeren Aussehen bei, aber nicht zur Sauberkeit.
Friseure öffnen – ist für dies ältere Menschen wichtig?
Die Gegenfrage ist erlaubt: Wieso sind ältere Menschen, wie Herr Doktor Söder meint, auf die Dienstleistung der Friseure angewiesen, jüngere dagegen nicht?
Haare wachsen altersunabhängig, und Frisuren verunstalten sich von Woche zu Woche, die seit dem letzten Friseurbesuch vergangen ist. Das ist unabhängig von der Generation. Hinzutritt bei Männern, dass das Haupthaar mit zunehmendem Alter, sagen wir, leichter in Ordnung gehalten werden kann.
Es klingt aber vor dem Publikum gut, gerade von älteren Menschen zu sprechen. CDU und SPD werden nämlich vor allem von älteren Menschen gewählt. Deshalb muss man lieb zu denen sein, gell, und so tun, als lägen sie einem ganz besonders am Herzen. So funktioniert Politik, aber nicht Rechtswissenschaft.
Eher sollte sich Herr Doktor Söder darüber klar sein, dass so manch älterer Mensch sich zwar die Haare noch selber waschen kann, aber nicht mehr so beweglich ist, seine Zehennägel selbst zu schneiden. Deshalb wäre es für die von ihm umschmeichelte Zielgruppe der Senioren wichtiger, zur Fußpflege zu können.
Sorgen Friseure für Würde?
Welche Würde Herr Doktor Söder meint, wird nicht klar. Womöglich meint er die aus Artikel 1 des Grundgesetzes:
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Dazu gehört auch, vom Staat nicht für dumm verkauft zu werden. Das Haupthaar sämtlicher Berufspolitiker ist nämlich auch während des Lockdown auffallend gleichmäßig gepflegt. Der Haarschnitt des Doktor Söder bildet hier keine Ausnahme. Er, die Kanzlerin und alle anderen im Fernsehen präsenten Berufspolitiker werden zugeben müssen, während des Lockdown immerzu auf die Dienste eines Friseurs zugreifen zu können.
Übrigens: Entgegen der Auffassung von Herrn Doktor Söder büßt der Mensch mit längerem Haar seine Würde nicht ein. Wie das Thema seiner Dissertation zeigt, ist er offenbar mit der Weltgeschichte vertraut und entsprechend belesen.
In den meisten Epochen der Menschheitsgeschichte trugen Damen und Herren wesentlich längeres Haar als heute, auch die besonders würdigen Gestalten. Der Zopf der preußischen Soldaten vermied lediglich das Risiko, das lange Haar bei der Zündung des Schießpulvers in Flammen aufgehen zu lassen, und heute noch tragen in Großbritannien Richter und Amtsträger des Oberhauses Allonge-Perücken, um durch deren lange Haarpracht ihre Würde zu unterstreichen.
Auch Herrn Doktor Söder würde dies stehen. Jedenfalls ist das Würde-Argument kein sachlicher Grund, die Friseure aus der Schar der an der Berufsausübung Gehinderten herauszuheben.
Friseure als Schwarzarbeiter: Der springende Punkt
Ich selbst bin noch nicht auf Zopf, erfreue mich übrigens wie Herr Doktor Söder eines tadellosen Haarschnitts, selbstverständlich auch während des Lockdown. Friseure sind auch nicht dümmer als andere Menschen, und wenn sie ihre Läden nicht betreiben dürfen, üben sie ihren Beruf eben mobil aus.
Schnell hatte sich nach Beginn des Lockdown herumgesprochen, dass eine außerordentlich tüchtige Friseureisterin Bürobesuche macht. Sie stellte sich geheimnisvoll als Frau Mona vor, und in einer Viertelstunde war der Fall erledigt, und ich sah keinen Anlass zu fragen, ob die Dame den Zwanzig-Euro-Schein dem Finanzamt vermeldet oder nicht.
Friseure öffnen – anders als Einzelhändler?
Weil ich die Menschen kenne, gehe ich davon aus, dass Frau Mona den Zwanzig-Euro-Schein noch am selben Tag bei ALDI oder sonst wo ausgegeben hat. Seine kurze Existenz wird sie beim nächsten Eintrag im Kassenbuch längst vergessen haben.
Diese wunderbare Möglichkeit der Existenzerhaltung hat ein Einzelhändler nicht: Er kann seine Waren nicht mobil verkaufen, und nicht einmal dies darf er zur Zeit. Die Friseure dagegen sind eine große Branche, die wie Frau Mona ein kleines Köfferchen packen und einfach loslegen kann, am Fiskus vorbei, versteht sich.
Darum wird es Herrn Doktor Söder in Wirklichkeit gehen: Wenn die Friseure schon gegen Geld arbeiten, dann bitte unter Beteiligung des Finanzamts. Das spricht der schlaue Herr Doktor Söder aber lieber nicht offen aus. Das Publikum würde ihn sonst nicht mehr so nett finden.
Wenn Friseure öffnen – Ungleichbehandlung anderer körpernaher Dienstleistungen?
Allerdings werden Friseure und andere Läden betreibende Berufe ungleich behandelt. Es ist kein Grund ersichtlich, warum Friseure bei Erbringung ihrer körpernahen Dienstleistung weniger ansteckend sein sollen als der Fußpfleger oder die nette Dame im Findernagelstudio.
Noch weniger nachvollziehbar ist die Bevorzugung der Friseure aber für den Einzelhandel. Ein Verkaufsgespräch in einer Boutique erfordert erheblich weniger Körpernähe als ein Haarschnitt, und beim Bezahlvorgang trennt der Kassentresen. Warum deshalb der Einzelhandel weiterhin auf seine Berufsausübung verzichten soll, ist rätselhaft.
Können Einzelhändler klagen, wenn nur Friseure öffnen können?
Eine Klagewelle von Einzelhändlern ist in Anbetracht dieser Ungleichbehandlung geradezu wünschenswert.
Natürlich wird man sagen, wir seien Rechtsanwälte, deshalb zum Gelderwerb immerzu an Prozessen interessiert, und aus dieser Eigensucht würden wir die armen Leute aufwiegeln. Das stimmt natürlich zu hundert Prozent. Es kommt aber darauf an, ob man das Geld mit interessanten oder mit eher routinemäßigen Themen verdient.
So gut wie alle Corona-Maßnahmen erfüllen Juristen geradezu mit Lust, gegen die Obrigkeit anzutreten, denn offenkundiger haben sich Rechtsbrüche in Deutschland noch nie ereignet.
Sollte Einzelhandel klagen gegen Corona-Maßnahmen klagen?
Nicht Corona, sondern die Corona-Maßnahmen sind etwas historisch Einmaliges. 1973 gab es in der alten Bundesrepublik über einige Wochen ein Sonntagsfahrverbot, um die Erdölversorgung sicherzustellen. Dadurch herrschte zwar eine bange Stimmung im Land, aber alle verstanden, warum.
Noch nie in der Geschichte Deutschlands wurden aber Ausgangssperren verhängt, in Privatwohnungen die Besucher gezählt, persönliche Kontakte untersagt, Bewegungsradien festgelegt und der Handel stillgelegt. Auf solche Einfälle ist bis heute noch nie jemand gekommen, weder Kanzler und Präsidenten, noch Kaiser oder Könige. Oder fällt vielleicht Herrn Doktor Söder eine historische Vorlage ein? Nein? Nein.
Deshalb sagen wir: Eine Klagewelle des Einzelhandels ist gesellschaftlich und wirtschaftlich geradezu geboten.
Wirtschaftlich: Auch Rechtsanwälte sind Konsumenten. Seit dem Lockdown kann ich das Modehaus F. nicht mehr betreten. Deshalb lieferte meinen neuen Anzug Amazon. Alles kommt neuerdings von dort.Wir gewöhnen uns daran. Innerlich nehme ich gerade Abschied vom Modehaus F. Anderen geht es genauso. Wenn es aber das Modehaus F. und ähnliche Einzelhändler nicht mehr gibt, haben die Besitzer von Geschäftshäusern bald keine Mieter mehr. Neue Einzelhändler gründen sich lieber erst gar nicht, denn sie haben erlebt, was Politiker wie Herr Doktor Söder anrichten können.
Gesellschaftlich: Die freiheitlich-demokratische Grundordnung beruht auf Freiheits-, Gleichheits- und Teilhaberechten, auf die sich jeder Mensch individuell berufen kann. Wenn es wirklich so leicht ist, alle diese Rechte geradezu außer Kraft zu setzen, fragt sich, wie ernst eigentlich diese Grundidee des deutschen Staates gemeint ist. Manchmal bekommen einzelne Personengruppen die Chance, die Dinge wieder ins Lot zu bringen. Das ist jetzt der Einzelhandel. Er sollte diese Chance ergreifen. Auf ihm liegt in diesen Tagen die Hoffnung aller. Die Doktorarbeit der Kanzlerin trägt laut Wikipedia den Titel
Untersuchung des Mechanismus von Zerfallsreaktionen mit einfachem Bindungsbruch und Berechnung ihrer Geschwindigkeitskonstanten auf der Grundlage quantenchemischer und statistischer Methoden.
In der Tat: Von Zerfallsreaktionen und Bindungsbrüchen versteht die Dame viel.
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