Maskenpflicht bei Schülern

Die Maskenpflicht bei Schülern führt zu einem juristischen Meinungsstreit: Am 8. April 2021 verkündete das Familiengericht beim Amtsgericht Weimar eine aufsehenerregende Entscheidung. Die alleinerziehende Mutter von zwei schulpflichtigen Kindern wollte nicht hinnehmen, dass diese über den ganzen Schultag hinweg einen Mund-Nasen-Schutz und tragen müssten. Mit der Begründung, dies sei dem Kindeswohl abträglich, wandte sie sich an das Amtsgericht Weimar. Dieses kam zum Ergebnis, dass die Einschätzung der Mutter zutreffend sei und gab ihrem Antrag statt. Seine Entscheidung stützte es auf § 1666 Abs. 1 und 4 BGB. Diese Vorschriften lauten:

(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.

(4) In Angelegenheiten der Personensorge kann das Gericht auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten treffen. 

Maskenpflicht bei Schülern – Chronologie eines juristischen Meinungsstreits

Das Amtsgericht Weimar holte vor seiner Entscheidung in bemerkenswert kurzer Zeit eine beachtliche Fülle verschiedener Gutachten für verschiedene Einzelfragen ein und kam zu dem Ergebnis, dass im Hinblick auf den Infektionsschutz das Tragen einer Maske so gut wie nichts bringt. Dagegen sei die Gefahr wesentlich größer, dass Kinder vom Tragen einer Maske schwerwiegende Schäden an der körperlichen und seelischen Gesundheit erleiden. Diese Gefahr könnten die Eltern aus eigener Kraft gegen die Thüringer Corona-Schutzverordnung nicht abwenden, sodass sie auf die Hilfe des Familiengerichts angewiesen seien, und der Dritte, von dem die Gefährdung des Kindeswohls ausgeht, sei hier die staatliche Schule, die die Rechtsverordnung vollzieht.

Wer die Entscheidung im Volltext lesen möchte, braucht als Suchbegriffe nur Amtsgericht Weimar und das Aktenzeichen 9 F 148/21 in eine Suchmaschine einzugeben. Je nach verwendetem Dateityp erwarten einen dort rund 190 Seiten.

Es dauerte wenige Tage, bis diese Entscheidung sehr bekannt wurde. Gefördert hat ihre Bekanntheit unter Rechtsanwälten der auf Legal Tribune Online am 12. April 2021 veröffentlichte Aufsatz von Tanja Podolski, Familienrichter hebt Maskenpflicht an Schulen auf“, der sich sachlich und sorgfältig mit den Überlegungen des Gerichts auseinandersetzt. Am Ende des Aufsatzes wird berichtet, dass gegen den Weimarer Familienrichter wegen seiner Entscheidung bei der örtlich zuständigen Staatsanwaltschaft Anzeigen wegen Rechtsbeugung (§ 339 StGB) eingegangen seien.

Familiengericht beim Amtsgericht Weilheim zur Maskenpflicht bei Schülern

Am 13. April 2021 wurde bekannt, dass das Familiengericht beim Amtsgericht Weilheim (Az. 2 F 192/21) eine vom Ergebnis her sehr ähnliche Entscheidung verkündet hatte. Wir hatten die eine wie die andere Entscheidung im erst gar nicht im Einzelnen lesen wollen. 190 Seiten erfordern nämlich mehr als einen halben Tag Lesezeit, wenn man den Inhalt einigermaßen sorgfältig erfassen möchte, und in dieser Zeit, dachten wir, könnten wir an unseren Schreibtischen Wichtigeres erledigen. Dies erwies sich als Fehleinschätzung.

Familiengericht beim Amtsgericht Leipzig entscheidet zur Maskenpflicht bei Schülern

Über Nacht gingen halbes Dutzend Anfragen ein, ob wir bei anderen Amtsgerichten, darunter Leipzig, nicht gleichartige Entscheidungen herbeiführen könnten, wie sie in Weimar und in Weilheim bereits gefallen waren. Während wir noch überlegten, ob wir diese Aufträge annehmen sollen oder nicht, kann es am 15. April 2021 schon zur nächsten Entscheidung, diesmal vom Familiengericht beim Amtsgericht Leipzig (Aktenzeichen 335 F 1187/21 und 335 1209/21).

Der dortige Familienrichter vertrat eine grundlegend andere Auffassung als seine Kollegen in Weimar und Weilheim. Ausschließlich der Infektionsschutz durch das Tragen einer Maske gewährleiste das Kindeswohl. Der Staat und seine Schulen in könnten nicht Dritte im Sinne des § 1666 Abs. 4 BGB sein, sondern nur natürliche Personen. Im Gefüge der gesamten Rechtsordnung nehme der Staat sogar die Rolle des Wächters über das Kindeswohl ein, sodass er unmöglich ein Dritter sein könnte, der von dieser Vorschrift gemeint sei.

Weil all dies jedem vernünftigen Menschen einleuchtet, sei die den Antrag einreichende Mutter offensichtlich nicht in der Lage, für ihre Kinder die richtigen Erziehungsentscheidungen zu treffen, weshalb das Gericht beabsichtige, von Amts wegen gegen die alleinerziehende Mutter vorzugehen. Im Klartext bedeutet dies, dass sie im milderen Fall künftig die Erziehungshilfe des Jugendamts in Anspruch nehmen muss, im schärferen Fall die Kinder zu Pflegeeltern kommen, die für das Kindeswohl besser zu sorgen in der Lage sind als die eigene Mutter.

Welche Ansicht richtig und welche falsch ist, wissen wir nicht. Was die Beurteilung der physischen und psychischen Auswirkungen der Maskenpflicht angeht, fehlt uns die fachliche Kompetenz. Es scheint aber so zu sein, dass die Wissenschaft in dieser Frage in zwei Lager gespalten ist: Das eine Lager ist das nach § 2 Infektionsschutzgesetz zum Bundesministerium für Gesundheit gehörende Robert-Koch-Institut, welches die Maskenpflicht für unverzichtbar hält. Zu diesem Lager gehören durchaus auch noch andere namhafte Mediziner und Biologen. Unübersehbar gibt es jedoch auch noch ein anderes Meinungslager, dessen Vertreter gleichfalls mit Professorentiteln bedacht wurden. Die juristischen Überlegungen zugängliche Frage ist allenfalls die, ob der Staat ein Dritter sein kann, vor dem Kinder zu schützen sind. Mit dieser Frage mussten sich die Kommentatoren des Bürgerlichen Gesetzbuches bislang noch nicht auseinandersetzen, weil sie sich noch nie stellte. Deshalb haben die Richter in Weimar und Leipzig gleich gute Gründe für ihre Ansichten. Dass zwei Gerichte in gleich gelagerten Fällen zu völlig unterschiedlichen Ansichten kommen, gerade wenn, wie hier, juristisches Neuland betreten wird, kommt nicht selten vor. Dies ist der von Art. 97 Abs. 1 des Grundgesetzes garantierten Unabhängigkeit der Richter von staatlichen Weisungen geschuldet, die somit nur dem Gesetz unterworfen sind. Deshalb darf es nicht verwundern, dass drei Amtsgerichte zwei völlig unterschiedliche Meinungen über gleich gelagerte Sachverhalte vertreten. In der Ordnung eines Rechtsstaats ist dies so vorgesehen, ebenso, dass der Bundesgerichtshof das letzte Wort hat, welche Ansicht seiner Auffassung nach richtig ist.

Bemerkenswerte Entscheidung Amtsgericht Leipzig

Die Entscheidung des Amtsgerichts Leipzig ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Zum einen erging sie noch am gleichen Tag (15. April 2021), an dem der Antrag eingereicht wurde. Diese Geschwindigkeit ist ungewöhnlich. Nicht erstaunlich ist die Kostenentscheidung. Die angefallenen Verfahrenskosten soll die Mutter tragen, weil ihr Antrag abgelehnt wurde. Dies ist konsequent. Staunen darf man allerdings über die Festsetzung des Gegenstandswerts, aus dem die Verfahrenskosten berechnet werden. Hierbei stützte sich das Gericht auf § 45 Abs. 1 des Gesetzes über Gerichtskosten in Familiensachen (FamGKG). Diese Vorschrift lautet:

(1) In einer Kindschaftssache, die

  1. die Übertragung oder Entziehung der elterlichen Sorge oder eines Teils der elterlichen Sorge, 2. das Umgangsrecht einschließlich der Umgangspflegschaft,
  2. das Recht auf Auskunft über die persönlichen Verhältnisse des Kindes oder
  3. die Kindesherausgabe betrifft,

beträgt der Verfahrenswert 4.000 Euro.

Da sich die angestrebte Entscheidung auch auf die Mitschüler der beiden Kinder ausgewirkt hätte, multiplizierte das Gericht die Zahl der Schüler (wahrscheinlich hat es diese telefonisch bei dem betreffenden Schulen erfragt) mit 4.000,00 Euro und ermittelte auf diese Weise den sehr hohen Betrag von 4.120.000,00 Euro, von dem es nach § 41 Satz 2 FamGKG nur die Hälfte festsetzte, weil es um eine Eilsache ging, also 2.060.000,00 Euro. Auf der Gerichtskostentabelle zeigt dies einen Betrag von 30.711,00 Euro an. Alleinerziehende Mütter sind durch solche Beträge erfahrungsgemäß ruiniert.

Allerdings hat das Gericht bei dieser Herangehensweise übersehen, dass es auch noch § 45 Abs. 2 FamGKG gibt:

(2) Eine Kindschaftssache nach Absatz 1 ist auch dann als ein Gegenstand zu bewerten, wenn sie mehrere Kinder betrifft.

Es war also nicht richtig, die Schülerzahl mit 4.000,00 Euro zu multiplizieren, sondern unabhängig von der Kinderzahl hätte der Gegenstandswert nur 4.000 Euro betragen können. Damit würde die Entscheidung die Mutter nur 420,00 Euro kosten.

Bis zum nächsten Tag, dem 16. April 2021, fiel auch dem Gericht ein, dass seine Rechnung womöglich nicht stimmt, weil § 45 FamGKG gar nicht einschlägig ist. Es ging hier nämlich nicht um das Sorgerecht, das Umgangsrecht, eine Auskunft über die persönlichen Verhältnisse der Kinder oder die Kindesherausgabe. Diese Anwendungsfälle sind – siehe oben – in § 45 Abs. 1 FamGKG abschließend aufgezählt. Deshalb änderte es seinen Beschluss über die Festsetzung des Gegenstandswerts dahingehend ab, dass es den Höchstwert nach § 42 Abs. 2 FamGKG wählte: 500.000,00 Euro. Damit würden die Gerichtskosten nur noch 11.703,00 Euro ausmachen, was die wirtschaftlichen Verhältnisse einer alleinerziehenden Mutter mutmaßlich immer noch übersteigt. Allerdings dürfte auch diese Entscheidung nicht richtig sein. § 42 FamGKG lautet nämlich:

(1) Soweit in einer vermögensrechtlichen Angelegenheit der Verfahrenswert sich aus den Vorschriften dieses Gesetzes nicht ergibt und auch sonst nicht feststeht, ist er nach billigem Ermessen zu bestimmen.

(2) Soweit in einer nichtvermögensrechtlichen Angelegenheit der Verfahrenswert sich aus den Vorschriften dieses Gesetzes nicht ergibt, ist er unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Beteiligten, nach billigem Ermessen zu bestimmen, jedoch nicht über 500 000 Euro.

(3) Bestehen in den Fällen der Absätze 1 und 2 keine genügenden Anhaltspunkte, ist von einem Wert von 5.000 Euro auszugehen.

Das Gericht hat in seinem zweiten Anlauf wenigstens die einschlägige Vorschrift gefunden: Weil es nicht um Geld oder wirtschaftliche Güter geht, handelt es sich um eine nichtvermögensrechtliche Angelegenheit. Über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Mutter wusste das Gericht allerdings nichts. Besonders umfangreich war die Arbeit des Gerichts gleichfalls nicht, denn es kann allenfalls einen halben Nachmittag auf die Entscheidung verwendet haben, wenn die Antragsschrift am 15. April 2021 einging und die Entscheidung noch am gleichen Tag gefällt werden konnte. Über Anhaltspunkte für eine Entscheidung nach billigem Ermessen verfügte das Gericht somit nicht (abgesehen davon ist in seinen Entscheidungsgründen auch nichts von einem Abwägungsvorgang im Sinne der Ausübung eines billigen Ermessens zu lesen). Deshalb kann es den Gegenstandswert lediglich nach § 42 Abs. 3 FamGKG mit 5.000,00 Euro ansetzen, aber unter keinem Gesichtspunkt mit dem Höchstbetrag von 500.000,00 Euro.

Man fragt sich, wie ein Familienrichter bei der juristisch eher anspruchslosen Entscheidung über den Gegenstandswert gleich zweimal neben das Gesetz greifen kann. Unübersehbar ging es ihm darum, an der Mutter durch die wirtschaftlichen Auswirkungen der Streitwertentscheidung ein Exempel zu statuieren. Deshalb musste der Gegenstandswert hier möglichst hoch ausfallen, um die aus seiner Sicht erwünschte erzieherische Wirkung zu erzielen: Das kommt davon, wenn man sich mit solchem Unsinn an ein Gericht wendet.

Am 26. April 2021 berichtete die Online-Ausgabe der Bild-Zeitung (Razzia bei Familienrichter – Handy sichergestellt), bei dem Weimarer Familienrichter habe eine Durchsuchung seiner Wohnung, seines Autos und seines Dienstzimmers durch die Polizei stattgefunden. Eine Durchsuchung setzt eine richterliche Anordnung voraus, die nur erlassen werden darf, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorhanden sind, dass eine bestimmte Straftat verübt wurde, also ein sogenannter konkretisierter Anfangsverdacht nach § 102 StPO besteht.

Das Bundesverfassungsgericht drückt es so aus: Das Gewicht des Eingriffs verlangt Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen (Beschluss vom 7. September 2006 – Aktenzeichen 2 BvR 1219/05). Der den Durchsuchungsbeschluss erlassende Richter teilt offenbar bereits die Bewertung, dass die von dem Weimarer Familienrichter getroffene Entscheidung das Recht bewusst beugte. Ob gegenüber dem Leipziger Familienrichter ebensolche Maßnahmen getroffen werden, ist abzuwarten. Immerhin darf ein Gericht nicht bewusst unrichtig entscheiden, um bei einem Verfahrensbeteiligten bestimmte erzieherische Wirkungen zu erzielen.

Die Welt ist nicht durch ein Virus, sondern durch die zu seiner Bekämpfung ergriffenen Maßnahmen in zwei unversöhnliche Lager gespalten, die beide blindwütig auf der absoluten Richtigkeit ihrer jeweiligen Sichtweisen beharren. Unangenehm daran sind die missionarischen Züge der beiderseitigen Argumentation: Jede Seite hält sich für die Erleuchteten, die allein deshalb den Unerleuchteten moralisch haushoch überlegen sind. Diese Spaltung zieht sich quer durch alle Teile der Gesellschaft, auch durch die Justiz. Schon im Januar sagte eine Staatsanwältin am Telefon: „Es ist beängstigend. Wir Staatsanwälte haben doch alle dieselbe Vorbildung, und trotzdem gibt es bei uns in der Behörde zwei gleich große Teile, die völlig gegensätzliche Standpunkte einnehmen.“

Die Dame hat Recht. Ihre Beobachtung darf verallgemeinert werden. Ein Teil wird sich am Ende durchsetzen, und die Vorstellung, wie er mit den Unterlegenen abrechnen wird, ist grauenhaft. Dass ein Richter den anderen wegen den seinen Entscheidungen zugrundeliegenden Ansichten für strafwürdig hält, ist nur ein erster Vorgeschmack auf das, was kommt.

Update 1 – AG Pforzheim Maskenpflicht:

Die „Welle“ um § 1666 BGB als Mittel der Erlösung von Schulkindern von der Maskenpflicht muss zeitlich deutlich vor der Entscheidung des Amtsgerichts Weimar vom 8. April 2021 ihren Anfang genommen haben, und zwar bereits im März 2020 mit einem Beschluss des Familiengerichts beim Amtsgericht Pforzheim, welcher am 30. März 2021 erlassen wurde. Dies folgt aus einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe, von der nur das Aktenzeichen 20 WF 70/21 bekannt wurde, nicht das Verkündungsdatum, welches im Internet überwiegend mit dem 28. April 2021 angenommen wird (auf der Internetseite des OLG Karlsruhe ist derzeit noch nichts zu lesen). In diesem Beschluss wurde die vorangegangene Entscheidung des Amtsgerichts Pforzheim aufgehoben, welche darin datumsmäßig erwähnt ist, und aus ihm kann auch nachvollzogen werden, worum es dort ging:

Das Familiengericht beim Amtsgericht Pforzheim hatte offenbar die Auffassung vertreten, nur die Verwaltungsgerichtsbarkeit sei dazu berufen, sich mit der durch Rechtsverordnung verhängten Maskenpflicht zu befassen, aber kein Familiengericht. Dies sah das Oberlandesgericht Karlsruhe anders. Das Familiengericht dürfe die Sache nicht einfach an die Verwaltungsgerichtsbarkeit abgeben, sondern hätte zumindest Vorermittlungen einleiten müssen, ob eine Gefährdung des Kindeswohls durch die Maskenpflicht im konkreten Fall vorliegt oder nicht. Wenn es zum Ergebnis kommt, dass das Kindeswohl gefährdet würde, müsste es einschreiten.

Update 2 – AG Leipzig Maskenpflicht bei Schülern:

Die Entscheidung des Amtsgerichts Leipzig führte am 22. April 2021 zu einem Spendenaufruf für die Mutter, welche die Verfahrenskosten tragen soll. Geführt wird die Kampagne auf der Spendenplattform GoFundMe. Obwohl unter Annahme des schlechtesten Falls ein Spendenziel von rund 19.000 Euro vorgegeben war und jeder sehen konnte, dass es längst erreicht ist, wird immer weiter gespendet. Augenblicklich sind fast 31.000 Euro zusammengekommen. Die Sammlung gilt als die derzeit beliebteste Spendenaktion Deutschlands. Außerhalb der Spendenkampagne meldete sich zusätzlich eine vermögende Privatperson bei der Kollegin, die das Verfahren führt, und bot ihr an, die gesamten Verfahrenskosten der Mutter alleine zu übernehmen. Solche Solidaritätsbekundungen sind ungewöhnlich, zumal sie sich nicht auf Worte beschränken, sondern sich in Geld ausdrücken. Die Kritiker der Corona-Maßnahmen beweisen damit einen bemerkenswerten Zusammenhalt.

Update 3 – AG Garmisch-Partenkirchen Maskenpflicht bei Schülern:

Anregungen nach § 1666 BGB, die Maskenpflicht im Schulalltag sei eine Gefährdung des Kin­deswohls, gingen auch beim Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen ein. Im Beschluss vom 03.05.2021 – Aktenzeichen 1 F 128/21 und 1 F 125/21 lautete die Entscheidungsformel:

Das am Verfahren beteiligte Kind wird diesem Herrn Hans-Christian Prestien mutmaßlich noch nie begegnet sein, und deshalb ist auch keine Sachverhaltskonstellation vorstellbar, dass Herr Prestien in irgendeiner Weise das Kindeswohl gefährdet oder gar verletzt haben könnte. Wer ist also dieser Herr Prestien? Auch dies ist in den Entscheidungsgründen zu lesen, die wir hier leicht gekürzt wiedergeben:

„81 Abs. 4 FamFG erweitert den Anwendungsbereich des § 81 FamFG, indem er die Möglich­keit eröffnet, auch einem nicht am Verfahren beteiligten Dritten Kosten aufzuerlegen. Voraus­setzung ist, dass die gerichtliche Tätigkeit durch den Dritten veranlasst worden ist und diesen ein grobes Verschulden trifft. „Veranlassung“ meint nicht nur die Anregung an das Gericht, ein Verfahren einzuleiten, sondern auch das Schaffen dessen Voraussetzungen … Diese Voraus­setzungen sind vorliegend erfüllt. … Der hier durch diese Entscheidung Kostenverpflichtete ist als formell sowie materiell nicht Beteiligter „Dritter“ i. S. des § 81 Abs. 4 FamFG und kommt als Kostenschuldner nach dieser Vorschrift in Betracht … Die Tätigkeit des Gerichts wurde durch den Kostenverpflichteten veranlasst … Der Kostenpflichtige hat den entscheidenden Anstoß für die Einleitung des Verfahrens nach § 1666 BGB im Hauptsache- und Eilverfahren gesetzt, so dass er es veranlasst hat im Sinne des § 81 Abs.4 FamFG.

Der zu den Kosten verpflichtete Herr Prestien ist Familienrichter im Ruhestand seit zehn Jahren. Der Kostenverpflichtete hat ein bis ins Detail ausgearbeitetes Muster im Internet zum Download angebo­ten, das nur durch wenige personalisierende Ergänzungen ausgestaltet werden muss. … Er hat auf sei­ner Website „ABC-Kindesvertretung“ ein Muster für eine Anregung nach §§ 1666 Absatz 1, 4 BGB wegen Kindeswohlgefährdung ins Netz gestellt und ruft dazu auf, Meldung an das jeweils zuständige Famili­engericht zu machen wegen einer derzeit „bestehenden nachhaltigen Gefährdung des körperlichen, seelischen und geistigen Wohls von Kindern“ und hat diese Anregung als Download auf seine Seite ge­stellt: Webseite von Hans-Christian und Maria Prestien: https://abc-kindesvertretung.de. … Interessierte sollen sich nach seinem Aufruf an die örtlichen Familiengerichte wenden unter Bezugnahme auf nach seiner Rechtsauffassung rechtswidrige Anordnungen für Kinder zur Einhaltung von Maskenpflicht, Distanzwahrung und anderer einschränkender Maßnahmen. Eltern sollen mit diesem Muster deutschlandweit aktiv werden und das für sie örtlich zuständige Familiengericht angeblich kostenfrei veranlassen, rechtswidrige Anordnungen wie z. B. zur Einhaltung einer Maskenpflicht, räumlichen Distanzwahrung zu anderen Personen, Gestaltung gesundheitlicher Testung im Schulbereich ohne ausdrücklich schriftliche Erlaubnis der Sorgeberechtigten und anderen einschränkenden Maßnahmen für ihre Kinder zu unterbinden. …

Der Kostenverpflichtete hat das Tätigwerden des Gerichts auch grob schuldhaft veranlasst, weil er den Adressaten den Eindruck vermittelt, Familiengerichte seien befugt, die in der Anregung konkret beantragten Maßnahmen im Eilverfahren und Hauptsacheverfahren gegenüber Schulen und Lehrern bzw. Schulbehörden anzuordnen. … Die vorbereiteten Muster sind zielgerichtet darauf ausgerichtet, eine möglichst große Anzahl von Eltern und Angehörigen bzw. andere nahestehenden Personen von Kindern zu motivieren, derartige Verfahren nach § 1666 BGB in Gang zu setzen. …“

Die Auffassung des Amtsgerichts Garmisch-Partenkirchen stößt auf Bedenken. In der Tat gibt § 81 Abs. 4 FamFG einem Familiengericht die Möglichkeit, die Kosten eines familiengerichtlichen Verfahrens einem Außenstehenden aufzuerlegen, der am Verfahren gar nicht selbst teilnimmt. Der Münchener Kommentar zum FamFG (2. Auflage, § 81, Randnummer 69 und 70) beschreibt als einzig hierfür denkbare Fälle Situationen, in denen ein Dritter ein Einschreiten des Familiengerichts anregt, indem er einen hochdramatischen Sachverhalt schildert, der sich jedoch im Laufe des Verfahrens als unwahr herausstellt: Hat der Dritte das Familiengericht bewusst angelogen, oder hätte er leicht einsehen können, dass seine Schilderungen überzogen sind, ist von einem groben Verschulden auszugehen.

So liegen die Dinge hier aber nicht. Das Gericht meint, Herrn Prestien treffe ein grobes Verschulden, weil er trotz seiner Fachkenntnisse als ehemaliger Familienrichter zur Einleitung von nach Auffassung des Gerichts vollkommen aussichtslosen Verfahren aufruft und dafür im Internet herunterladbare Mustertexte zur Verfügung stellt. Dies ist gewagt. Mit demselben gedanklichen Ansatz könnte ein Familiengericht bereits jedem Rechtsanwalt die Verfahrenskosten auferlegen, der als Bevollmächtigter eines Verfahrensbeteiligten einen aussichtslosen Antrag stellt. Natürlich gab und gibt es immer schon Fälle, in denen am Ende der Rechtsanwalt die Kosten eines töricht geführten Verfahrens zahlt. Dies beschränkt sich jedoch auf die Berufshaftpflichtfälle, in denen der Rechtsanwalt wegen schuldhafter Schlechterfüllung des Mandatsvertrags dem Mandanten Schadensersatz leisten muss. Darüber entscheidet jedoch kein Familiengericht, auch nicht über die Hintertür des § 81 Absatz 4 FamFG, und genau hier verläuft die Grenze, die das Familiengericht in Garmisch-Partenkirchen in seinem Übereifer überschritten hat:

Ein Beratungs- oder Geschäftsbesorgungsvertrag zwischen Herrn Prestien und den Eltern des Kindes besteht nämlich nicht. Ein solcher Vertrag und somit eine unmittelbare Einflussnahme auf die Einleitung des Verfahrens kommt nämlich nicht dadurch zu Stande kommen, dass Herr Prestien auf Youtube seine persönlichen Ansichten äußert. Hier fehlt es allein am erforderlichen Rechtsbindungswillen des Herrn Prestien gegenüber den Eltern. Sonst könnte sogar der Verfasser einer rechtswissenschaftlichen Publikation zum Kostenschuldner gemacht werden, deren Inhalt ein Gericht für abwegig hält, oder juristische Verlage, die Prozessformularbücher herausgeben. Eine persönliche Nähe des Dritten zum Sachverhalt des Verfahrens muss vorhanden sein, um ihn als Kostenschuldner in das Verfahren hineinzuziehen, entweder als Informant oder als Mitwirkender. Daran fehlt es hier.

Die nächste Frage ist, ob es wirklich so aussichtslos ist, eine solche Anregung anzubringen. Etwa zeitgleich mit der Verkündung des Beschlusses des Amtsgerichts Garmisch-Partenkirchen hat das Oberlandesgericht Karlsruhe die Auffassung vertreten, ein Familiengericht hätte solchen Anträgen und Anregungen im Einzelfall jeweils nachzugehen (siehe letztes Update). Damit hat sich der Familienrichter nicht auseinandergesetzt.

Inhaltlich kann man durchaus unterschiedliche Auffassungen vertreten, was dem Kindeswohl abträglicher ist, die Maskenpflicht oder die Maskenfreiheit. Die Familienrichter in Weilheim und Weimar sehen das größere Übel in der Maskenpflicht, ihre Kollegen in Leipzig und Garmisch-Partenkirchen im Gegenteil. Es kommt nicht selten vor, dass verschiedene Gerichte denselben Sachverhalt unterschiedlich bewerten. Welche Bewertung richtig ist, entscheiden die Oberlandesgerichte, und wenn sogar diese zu unterschiedlichen Auffassungen kommen, hat der Bundesgerichtshof das letzte Wort. Dies ist der übliche Gang der vereinheitlichenden Rechtsfortbildung, und es ist ein sachlich-abwägender Vorgang. An dieser Sachlichkeit fehlt es zunehmend, auch unter Juristen. Das Thema Corona (richtiger: Corona-Maßnahmen) hat die Gesellschaft im Ganzen und alle ihre Untergruppen gespalten. Entweder steht man auf der Seite der Regierenden, oder man steht auf der ganz anderen Seite. Mit demokratischer Opposition hat dies allerdings nichts mehr zu tun, denn das Ungewöhnliche ist: Beide Seiten folgen jeweils einer eigenen Logik, die auf der anderen Seite natürlich nicht vorhanden ist, sodass die einen über die anderen entsetzt sind und sie für verrückt geworden halten. Man empfindet sich gegenseitig geradezu abstoßend, und dies treibt die Lust, die anderen im kämpferischen Sinne zu besiegen. Bei diesen Wahrnehmungen übereinander ist sogar ein allerkleinster gemeinsamer Nenner ausgeschlossen, denn Verrückten darf man nicht einmal einen einzigen Millimeter nachgeben. Dieses Entsetzen übereinander ist seit einigen Wochen auch innerhalb des Standes der Richter ausgebrochen. In einem solchen Kampfgetümmel kommen solche Dinge wie in Garmisch-Partenkirchen halt heraus.

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