Corona Klagen gegen Corona-Schutzmaßnahmen
„Kann man eigentlich wegen Corona klagen?“ Diese Frage war die Krönung des gestrigen Vormittags. Natürlich kann man gegen ein Virus nicht klagen. Klagen kann man aber gegen viele (theoretisch sogar alle) Maßnahmen, die von der Obrigkeit unter Verweis auf Corona verhängt wurden und werden.
Corona Klagen – wer kann eigentlich klagen?
Klagen kann, wer sich durch eine der Corona-Maßnahmen in seinen Rechten verletzt fühlt. Viele Maßnahmen greifen in die Freiheit der Berufsausübung ein, beschränken die Freizügigkeit, die Versammlungsfreiheit, die Informationsfreiheit oder einfach nur das Recht zur selbstbestimmten Lebensgestaltung.
So gut wie jede und jeden treffen die verhängten Maßnahmen, und dementsprechend kann sich auch jede oder jeder mit gerichtlicher Hilfe wehren. Übrigens trifft dies auch auf juristische Personen zu, etwa auf eine GmbH, die Hotels oder Gaststätten schließen muss, oder auf einen Verein, dessen Mitglieder sich nicht mehr treffen können.
Bei welchen Gerichten kann man klagen?
Dies kommt ganz darauf an, was man erreichen will. Wer bereits einen Bußgeldbescheid wegen eines ordnungswidrigen Verhaltens bekommen hat, weil man beispielsweise nach Auffassung der Behörde zu viele Kunden in den Laden gelassen hat, für sein Restaurant über kein ausreichendes Hygienekonzept verfügte oder irrtümlich keinen Mund-Nasen-Schutz getragen hat, muss dies vor dem Amtsgericht ausfechten.
Solche Verfahren sind bereits in so großer Zahl angelaufen, dass die Gerichte über diese „Corona-Fälle“ bereits stöhnen. Es geht dort übrigens genauso zu wie in sonstigen Ordnungswidrigkeiten-Verfahren, etwa wegen Rotlichtverstößen oder Geschwindigkeitsübertretungen.
Corona Klagen – wenn der Amtsträger falsch entschieden hat
Wenn bereits ein Schaden eingetreten ist, kann man die Amtsträger, die unberechtigt, voreilig oder falsch entschieden haben, auf Ersatz in Anspruch nehmen. Dazu muss man das Landgericht bemühen.
So hatte beispielsweise die Leiterin einer Grundschule montags alle Schüler für den Rest der Woche nach Hause geschickt, weil es in der Familie einer Schülerin jemand gab, der positiv auf das Corona-Virus getestet wurde.
Die Eltern, die zur Betreuung ihrer Kinder zu Hause bleiben mussten, bekamen natürlich keine Entschädigung vom Gesundheitsamt, weil nicht das Gesundheitsamt diese „Quarantäne“ verhängt hatte. Die Arbeitgeber der Eltern mussten auch für nichts aufkommen, weil die höchstens zehn Tage, für die Arbeitnehmern in solchen Fällen das Einkommen weiterbezahlt wird (§ 816 BGB), von den meisten schon während des Lockdown im April in Anspruch genommen wurden. Deshalb wird die voreilig handelnde Schulleiterin für die Einkommensausfälle haften müssen.
Corona Klagen gegen Verfügungen und Bescheide
Gegen unverhältnismäßige oder aus sonstigen Gründen rechtswidrige Verfügungen und Bescheide von Ämtern aller Art (vor allem der Gesundheitsämter, aber auch mehr und mehr der Polizei) ist das Verwaltungsgericht zuständig. Hier kann man recht schnell Klarheit über die Rechtslage verschaffen. Wenn es um das angeblich hoch gefährliche Corona-Virus geht, kann man sich behördlichen Maßnahmen meist nicht dadurch (wenigstens vorläufig) entziehen, dass man ihnen förmlich widerspricht.
Wenn Corona eine Rolle spielt, besteht die Behörde meist auf sofortiger Befolgung ihrer Anordnung, sodass ein Widerspruch keine aufschiebende Wirkung haben kann. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs kann man jedoch vom Verwaltungsgericht auf Antrag hin wiederherstellen lassen. Dies erfolgt meist sehr rasch. Weil es dabei um dieselben Fragen geht wie im späteren Prozess, weiß man alsbald, wie das Gericht insgesamt über die Sache denkt (und wie es deshalb ausgehen wird).
Corona Klagen gegen Rechtsverordnungen der Regierung
Wer sich durch die Rechtsverordnungen der Regierung direkt in seinen Rechten verletzt sieht, beispielsweise Kaufleute, die ihre Geschäfte schließen müssen, oder Menschen, die aufgrund einer Corona-Verordnung eine Reise absagen müssen, kann das Oberverwaltungsgericht anrufen. Im Wege der Normenkontrolle wird dort geprüft, ob und wie sich die Verordnung der Regierung mit der Landesverfassung oder gar dem Grundgesetz verträgt.
Künstler, Musiker, Tänzer und Schauspieler können klagen, weil keine Konzerte mehr stattfinden und Theater und Opernhäuser schließen müssen. Dies bedeutet einen Eingriff in die Freiheit der Kunstausübung und wirtschaftlich gesehen Einkommenseinbußen. Eventveranstalter, Gastwirte und Kellner beklagen einen Eingriff in ihre freie Berufsausübung. Die Beispiele lassen sich beliebig fortsetzen.
Der direkte Gang zum Bundesverfassungsgericht wird allerdings in den wenigsten vorstellbaren Fällen eröffnet sein. Erst muss nämlich der Rechtsweg vollständig ausgeschöpft werden. Erst wenn bis dahin kein Erfolg erzielt wird, ist der Weg „nach Karlsruhe“ frei.
Gibt es eine Corona-Sammelklage?
Nein und ja. Nach deutschem Recht gibt es keine Sammelklagen. Es gilt das Prinzip: Jeder kämpft für sich allein. Nach der Logik des deutschen Rechts kann dies auch gar nicht anders sein. Schließlich beklagt jede und jeder eine andere Rechtsverletzung und ganz individuelle Auswirkungen auf das persönliche Leben.
Es gibt keine Corona-bedingte Schnittmenge der Anliegen, außer bloßem Unbehagen. Etliche Rechtsanwälte, darunter auch international tätige Kanzleien, möchten dennoch Sammelklagen erheben, und weil dies in Deutschland nicht möglich ist, möchten sie amerikanische oder asiatische Gerichte anrufen. Die Frage ist nur, was es der einzelnen Klägerin und dem einzelnen Kläger nützt, wahrscheinlich sogar im besten Fall gar nichts, weil Urteile ausländischer Gerichte in Deutschland nicht ohne weiteres gelten.
Corona Klagen – wegen was kann man klagen?
Einige Corona-Fallkonstellationen haben wir schon oben umrissen. Was man an den Maßnahmen der Regierungen und Behörden aussetzen kann, ist bei genauer Betrachtung uferlos. Die folgenden Beispiele stammen zufällig aus der ab 2. November 2020 in Baden-Württemberg gültigen Corona-Verordnung. Die Verordnungen der übrigen Bundesländer sind aber fast in allen Details gleich.
Beispiele für Corona Klagen
Beispiel 1: Gleiche Sachverhalte sind rechtlich gleich zu behandeln. Unterscheidungen sind nur zulässig, wenn sie sachlich gerechtfertigt sind. Dies folgt aus dem sogenannten Gleichheitsgrundsatz, den Art. 3 des Grundgesetzes aufstellt.
In § 1a Abs. 6 Ziffer 12 der Verordnung steht: „Der Betrieb folgender Einrichtungen wird für den Publikumsverkehr untersagt … Kosmetik-, Nagel-, Massage-, Tattoo- und Piercingstudios, sowie kosmetische Fußpflegeeinrichtungen und ähnliche Einrichtungen, mit Ausnahme von medizinisch notwendigen Behandlungen, insbesondere Physio- und Ergotherapie, Logopädie, Podologie und Fußpflege; ebenfalls ausgenommen sind Friseurbetriebe sowie Barbershops, die nach der Handwerksordnung Friseurdienstleistungen erbringen dürfen und entsprechend in die Handwerksrolle eingetragen sind.“
Offen bleibt die Frage, warum in einem Barbershop, der in der Handwerksrolle eingetragen ist, die Infektionsgefahr geringer sein soll als in einem Barbershop, dessen Inhaber nicht Mitglied der Handwerkskammer ist. Über solche feinsinnigen Unterscheidungen setzen sich Viren hinweg. Bei einem Kosmetik- oder Nagelstudio ist die körperliche Entfernung ebenfalls nicht kleiner als beim Friseur, entsprechend die Infektionsgefahr genauso groß. Mit dem Gleichheitsgrundsatz verträgt sich dies nicht. Sowohl der Barbier wie auch die Betreiberin des Nagelstudios haben beide gute Aussichten, diesen § 1a Abs. 6 Ziffer 12 zu kippen.
Beispiel 2: Schüler und Lehrkräfte haben gute Aussichten, § 3 Absatz 1 Ziffer 6 der Verordnung mit Erfolg anzugreifen. Wenn sie sich in „Fluren, Treppenhäusern, Toiletten und Pausenhöfen“ begegnen, müssen sie eine Corona-Maske aufsetzen. Im Unterricht, der bekanntlich in der Enge eines Klassenzimmers stattfindet, darf man sie jedoch abnehmen, als gäbe es dort keine Infektionsgefahr. Was diese Unterscheidung rechtfertigt, kann nicht verstanden werden.
Gerade bei Schulen ist zu beachten, dass die Corona-Regelungen sogar von Gemeinde zu Gemeinde oder von Landkreis zu Landkreis anders ausfallen. Diese Körperschaften sind berechtigt, zusätzliche und noch schärfere Regelungen zu treffen, etwa, dass alle immer und jederzeit Maske tragen müssen. Wird die Gleichbehandlung zufällig durch eine solche Maßnahme herbeigeführt, ändert dies aber nichts daran, dass die Rechtsverordnungen für sich genommen rechtsfehlerhaft oder gar verfassungswidrig sind.
Beispiel 3: Im privaten Haushalt darf man sich nur mit neun anderen Personen treffen, und zwar einschließlich der Menschen, die zur eigenen Familie zählen, § 1a Absatz 2. Die Besucher müssen ihrerseits einen einzigen Hausstand bilden, § 1a Absatz 2 Ziffer 2. Dies ist streng. Hiernach darf sich eine fünfköpfige Familie höchstens mit einer anderen fünfköpfigen Familie treffen, vorausgesetzt, dass man mit der anderen fünfköpfigen Familie zufällig „in gerader Linie verwandt“ ist. Geschwister und deren Familien dürfen einen nicht besuchen, denn dies ist keine gerade Linie. Faktisch läuft es darauf hinaus, dass man Opa und Oma besuchen darf, sonst aber niemand. Während man durch diese Regelung in der Freizeit überwiegend zu beschaulicher Einsamkeit verurteilt ist, darf man zum Ausgleich die Geselligkeit des beruflichen Umfelds in vollen Zügen (und sogar ohne Corona-Maske, § 3 Absatz 1) genießen, sogar in der gedrängten Enge eines Callcenters oder eines Großraumbüros. Eine sachlich begründete Annahme, dass Arbeitskollegen virenfrei sind, während Freunde und Verwandte überwiegend infektiös sind, gibt es aber nicht.
Ebenfalls wegen § 1a Absatz 2 muss der Vortragsabend beim Kaninchenzüchter- oder beim Briefmarkensammlerverein ausfallen. Der Vortragsabend der Freimaurer und die Betstunde der Pietisten darf dagegen stattfinden, da es sich bei den einen wie den anderen um eine weltanschauliche Gemeinschaft handelt.
Das sieht § 1a Absatz 3 ausdrücklich vor. Freimaurer und Pietisten sind allerdings kaum weniger infektiös als Kaninchenzüchter oder Philatelisten.
Beispiel 4: Regelungen müssen so klar und eindeutig sein, dass sie ohne weiteres befolgt werden können. Dies folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 des Grundgesetzes. In demselben § 1a steht in Absatz 5: „Übernachtungsangebote gegen Entgelt dürfen unabhängig von der Betriebsform nur zu geschäftlichen, dienstlichen oder, in besonderen Härtefällen, zu privaten Zwecken zur Verfügung gestellt werden.“
Geschäftsreisende sind ohne Schwierigkeiten auszumachen, wenn das Zimmer von einem Unternehmen gebucht wird. Man kann dem Hotelier allerdings auch vorflunkern, geschäftlich unterwegs zu sein, obwohl es eine private Reise ist. Worauf sich der Hotelier verlassen darf und worauf nicht, weiß er nicht. Dementsprechend weiß er auch nicht, wen er übernachten lassen darf, und wen nicht. Wegen dieser Umgehungsmöglichkeiten drängt sich das Rechtsproblem der Durchsetzbarkeit der Vorschrift auf.
Dies hatte schon 1984 dazu geführt, dass das Bundesverfassungsgericht die damals geltenden Vorschriften zur Zinsbesteuerung als verfassungswidrig kippte (BVerfGE 84, 239).
Die Formulierung der „besonderen Härtefälle“ für private Reisende stellt den Hotelier vor noch größere Schwierigkeiten, denn er muss sich zusammenreimen, was damit überhaupt gemeint ist.
Wie teuer ist eine Klage?
Es kommt dabei auf unterschiedliche Gesichtspunkte an. Die Rotlichtverstöße und Geschwindigkeitsübertretungen haben wir oben nicht zufällig als Beispiele erwähnt. Wer über eine Rechtsschutzversicherung verfügt, darf auch bei seinem Corona-Bußgeld auf ihren Schutz hoffen. Dasselbe gilt bei Schadensersatzprozessen vor dem Landgericht. Hier kommt es auf den Gegenstandswert an, der von Fall zu Fall unterschiedlich ist, je nachdem, wie viel Schadensersatz verlangt wird.
Auch vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit lassen einen Rechtschutzversicherungen nicht im Stich. Hier sind die Gerichte bei der Festsetzung der Gegenstandswerte oft sehr zurückhaltend. Vieles wird pauschal zu einem Gegenstandswert von 6.000,00 Euro bewertet. Dies sind einschließlich Umsatzsteuer etwas mehr als 1.000,00 Euro Rechtsanwaltskosten. Unerschwinglich ist dies nicht.
Wie sinnvoll ist eine Klage?
Man kann sich natürlich auf den Standpunkt stellen, am 1. Dezember sei alles vorbei, und bis dahin müsste man eben in Gottes Namen die Zähne zusammenbeißen, den Gürtel enger schnallen oder wie man die Proben der Geduld und der Verzichtsbereitschaft auch immer zu nennen pflegt. Es ist auch eine Illusion, dass eine Klage den Lauf der Dinge noch vor dem 1. Dezember aufhalten könnte.
Dies kann die Justiz nicht leisten. Allerdings ist die Annahme vielleicht zu optimistisch, dass die Corona-Einschränkungen mit dem Monat November ganz sicher vorbei sind. Auch wenn das kurzfristige Ziel einer Klage wahrscheinlich nicht zu erreichen ist, bewirkt sie etwas für die Zukunft: Kommt ein Gericht zu der Auffassung, dass die Regierung oder eine Behörde über das Ziel hinausgeschossen sind und sich gegen die Rechte der einzelnen Menschen vergangen haben, gilt diese Rechtsansicht weiterhin, und die Regierung muss sie beachten.
Man kann es auch überspitzt formulieren: Wenn es jetzt nicht zu einer großen Klagewelle kommt, wird die Regierung davon ausgehen, dass alles, was sie gerade veranstaltet, rechtlich in Ordnung sei und bei allen Bürgerinnen und Bürgern Zustimmung findet. Dies wäre ein falsches Zeichen, denn dann ist in Zukunft damit zu rechnen, dass jede jährliche Grippewelle einen Lockdown rechtfertigt.
Das Phänomen Corona wird bis zum 1. Dezember wahrscheinlich nicht vorbei sein, und Corona wird an uns auch keineswegs als bloße Episode vorübergehen. Corona verändert unsere Gesellschaft stärker als alle anderen Kontroversen, die sie in den letzten zehn Jahren über sich ergehen lassen musste.
Wenn sich die Bürgerinnen und Bürger nicht massiv und zahlreich auf rechtsstaatlichem Weg den Corona-Schutzmaßnahmen entgegenstellen, endet zumindest die Gesellschaft, die wir kannten. Natürlich verschwindet nichts ersatzlos. Ob die heraufziehende neue Gesellschaft aber jenes 2017 verheißene „Land, in dem wir gut und gerne leben“ sein wird, ist unwahrscheinlich.
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